: Hanau–Demo: Einheit trotz Dissens
■ Das Atomzentrum Hanau als neuer Kristallisationspunkt der Anti–AKW–Bewegung
Die Gebrüder–Grimm–Stadt Hanau wird morgen - nach Brokdorf - Schauplatz der zweiten, bundesweit organisierten Großdemonstration gegen atomare Anlagen nach dem Reaktor–GAU von Tschernobyl sein. „Alte und neue Anti–AKW–Bewegung“, die Friedensbewegung und zahlreiche III.–Welt Solidaritätsgruppen rufen „alle Menschen“ zum Massenprotest gegen die Hanauer Nuklearbetriebe NUKEM, ALKEM, RBU und HOBEG auf. Die Frankfurter taz–Redaktion berichtet über den Stand der Dinge am Vorabend der Demonstration, sprah mit Elmar Diez von der BI–Hanau und den Grünen und besuchte eine Hanau–Diskussionsveranstaltung mit Joschka Fischer.
Frankfurt (taz) - Die gutwilligen Interpreten der zahlreichen Querelen im Vorfeld der Hanau– Demo gegen die dortigen Brennelementeschmieden haben sich auf eine „zugkräftige“ Formulierung geeinigt. Daß jetzt drei verschiedene Aufrufe zur Hanau– Demo in der Republik kursieren, so Stimmen aus den Reihen der Hanauer Bürgerinitiative „Umweltschutz“, lasse allen Atomgegnern die Freiheit der „ideologischen Zuordnung“. In der Tat: Neben dem sogenannten „Hauptaufruf“ des Demo–Vorbereitungsplenums, den inzwischen mehr als hundert Initiativen, „Bewegungen“ und auch Teile der Grünen gezeichnet haben, ist ein Aufruf der Grünen im hessischen Landtag im Umlauf, denen die „breite Bewegung“, die sich im „Hauptaufruf“ angeblich wiederfinden soll, noch nicht breit genug ist. Die Wiesbadener Realpolitiker wenden sich mit ihrem Aufruf sowohl gegen die „pauschale Abqualifizierung“ der SPD als „Atompartei“ als auch gegen die „Nichtberücksichtigung“ der post–Tschernobylen Anti–Atom–Gruppen aus dem bürgerlichen Lager, wie etwa die neuentstandenen Müttergruppen und Elterninitiativen. Während sich die hessischen Grünen um ihre und der Koalition Klientel sorgen, haben die Autonomen andere Probleme. Der „schwarze Anhang“ muß auf die vom Vorbereitungsplenum abgesegnete Linie der absoluten Gewaltfreiheit eingeschworen werden. Im „Hauptaufruf“ heißt es dazu unmißverständlich: „Wir wollen von uns aus keinerlei Konfrontation mit der Polizei und ebensowenig wollen wir eine Auseinandersetzung am Gelände der Hanauer Atomanlagen, einem radioaktiven Pulverfaß, das sich nicht mehr so einfach zur Wiese machen läßt.“ Autonome aus dem Rhein–Main–Gebiet, aus Gießen und aus Marburg wollen deshalb ihre „Kollegen“ aus anderen Bundesländern in einem „autonomen Block“ an die Hand nehmen. Innerhalb der Hanau–Demo, so ein Aufruf der Autonomen, wollen sie einen „starken Block“ bilden und in einem Redebeitrag über „Repression und Widerstand“ ihre Politik offensiv verbal vertreten. Die „Radikalität der Hanau– Demo“ zeige sich nicht in den Aktionsformen, sondern in den Inhalten, die von den Autonomen dort eingebracht würden. Der Aufruf der Autonomen, der ansonsten das im Vorbereitungsplenum möglicherweise schief gewordene „Feindbild“ für die eigene Klientel wieder zurechtrückt (“Die hessischen LandtagsGrü nen sind Mittäter am Betrieb der vier Brennelementefabriken.“), schließt mit dem Appell: „Begreifen und Propagieren, daß alleine die Einheit des Widerstandes in dieser Vielfalt zu einem relevanten Faktor werden kann.“ „Absolute Gewaltfreiheit“ will in Hanau auch die Polizei demonstrieren. Wie der hessische Einsatzleiter einer rund 4.000 Mann starken Polizeitruppe aus insgesamt fünf Bundesländern, Richard Huber, am Mittwoch in Hanau vor der Presse erklärte, sei es seine primäre Aufgabe, den erwarteten 20.000 Teilnehmern das Demonstrationsrecht zu garantieren. Nach Absprachen mit der Demoleitung bestehe Konsens darüber, daß die Demo–Ordner „kleinere Unstimmigkeiten“ während der Demonstration selbst regeln „dürften“. Huber, der in Biblis und Hasselbach „Erfahrung gesammelt“ hat, wird am Sonnabend insgesamt fünf Flugblätter mit dem aufgedruckten Stern: „Auch Demos schützen wir, ihre Polizei; gemeinsam für Grundrechte“ verteilen lassen. Im Flugblatt: „Erst Info, dann Demo“, werden die „friedlichen Demonstranten“ explizit aufgefordert, von den „aggressiven Chaoten“ wegzubleiben: „Geben Sie der Gewalt keine Chance.“ In einem rosa eingefärbten Flugblatt an „all american residents of Hanau“, werden die in Hanau zahlreich vertretenen GIs und ihre Frauen aufgerufen, doch am Sonnabend bitteschön die „children“ nicht „unattended in the vicinity of demonstration“ herumlaufen zu lassen. Darüber hinaus sollten sich die amerikanischen Freunde hüten, Demonstranten vom Fenster aus zu beobachten, falls das in einem „obvious way“ erfolgen sollte. Doch Einsatzleiter Hubers Verständnis für die Demonstranten (“Angst geht uns alle an“) hat auch seine Grenzen. Gewaltakte, so Huber, werde die Polizei nicht dulden. Und den erwähnten „schwarzen Block“, den werden Huber und seine Männer argwöhnisch beobachten und - wenn nötig - „flankierend begleiten“. Bereits auf den Zufahrtsstraßen und Autobahnabfahrten sollen „gezielte Kontrollen“ helfen, Gewalttäter zu „entwaffnen“. Und in Hanau selbst warten Staatsanwälte und Richter auf ihren „hoffentlich unnötigen“ Einsatz. „Zu Lande, zu Wasser und in der Luft“, meinte der Pressesprecher des Regierungspräsidenten, werde die Polizei „präsent und einsatzbereit“ sein. Selbst auf der anderen Mainseite, in Alzenau und Karlstein (Kahl), hat die bayerische Polizei ihre Truppen zusammengezogen, um frustrierten Hanau–Demonstranten, die möglicherweise in Bayern ihr „Mütchen kühlen“ wollten, so Huber, Paroli bieten zu können - und in der Mainmitte kreuzt die Wasserschutzpolizei. Denn der „größte Erfolg“ für die Mehrheit der Teilnehmer „und für die Polizei“ bestehe in einem friedlichen Verlauf der Demonstration. Klaus–Peter Klingelschmitt
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