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„Hamlet“ in HannoverWenn Hamlet Netflix guckt

Der „Hamlet“ von Þorleifur Örn Arnarsson erinnert an eine serielle Erzählung unserer Tage. Und wie in einer guten Streaming-Serie gibt’s am Schluss eine besondere Pointe.

Theater-Zombies in den Ruinen der „Hamlet“-Aufführungsgeschichte Foto: Katrin Ribbe

HANNOVER taz | In der Netflix-Science-Fiction-Serie „The Expanse“ gibt es eine Raumstation, die ihre besten Zeiten schon lange hinter sich hat. Kabel hängen von der Decke, die Wandverkleidungen haben sich gelöst. Das Licht flackert in verschachtelten, immer wieder reparierten Gängen. Überall ist es feucht und tropft von der Decke. Zwischen all dem Chaos leben Menschen.

Ganz ähnlich sieht die Bühne aus, die der Litauer Vytautas Narbutas für den „Hamlet“ des isländischen Regisseurs Þorleifur Örn Arnasson am Schauspiel Hannover entworfen hat. Man sieht schnell, dass schon lange etwas faul ist in diesem Helsingør. Der langgezogene Schacht mit seinen kleinen Seitengängen erinnert an den Todesstern. Oder an einen verlassenen U-Bahn-Tunnel irgendwo in einer post-apokalyptischen Welt, in dem ein paar Überlebende unter der Erde ein bizarres Regime errichtet haben.

Inzestuöse Umarmung

So genau weiß man das bis zum Ende nicht – und im Ergebnis käme es auch auf dasselbe raus: Die Menschen, die zwischen diesen Trümmern leben, sind in dieser Welt gefangen. Und der geheimnisvolle Fortinbras ist weit weg auf irgendeinem Nachbarstern. Niemand scheint zu kontrollieren, was in diesem Tunnelsystem passiert.

So sitzen bereits ganz zu Anfang alle auf einem großen schwarzen Sarg und grölen, begleitet von einem verschrobenen Pianisten Lieder, während das seltsame Gefährt auf Eisenbahnschienen wie eine Lore nach vorn zur Rampe fährt.

Dann finden sich der heruntergekommene Sternenkönig Claudius (Hagen Oechel) und seine bitchy Sternenprinzessin Gertrud (Johanna Bantzer) zu Foreigners 80er-Jahre-Liebes-Hymne „I Want To Know What Love Is“ zu einer inzestuösen Umarmung – während gleichzeitig Hamlet (Daniel Nerlich) und sein Ophelia-Punk-Girl (Vanessa Loibl) mit rosa Haaren an der Rampe übereinander herfallen.

Wozu eigentlich?

Überhaupt Hamlet: Über und über mit Öl verschmiert, als sei er in den falschen Bereichen der Station herumgestromert, fordert er ganz zu Beginn den bösen Onkel heraus und will wissen, was seinem Vater in dem Riesensarg auf Schienen passiert ist. Aber aus der Kiste steigt wenig später er selbst heraus: ein zweiter, böser Hamlet mit ausdrucksloser Plastikgesichtsmaske, der mal eben den Sternenoffizier Polonius (Mathias Max Herrmann) abmurkst, während er mit seiner Mutter ringt.

Nach der Pause spielen dann alle in blutroten Kostümen sich selbst, wenn Hamlet die Geschichte der Ermordung seines Vaters auf der Theaterbühne noch einmal nacherzählen lässt – um, ja wozu eigentlich? Dass sein Stiefvater der Mörder ist, scheint von Beginn an offensichtlich zu sein. Später kniet dieser nackt neben einem Sarg voller Blut, suhlt sich in der roten Farbe, fischt Leichenteile aus der Soße und knabbert genussvoll daran herum.

Allein: Hamlet tötet ihn nicht, lässt lieber seine Freundin sterben, wartet auf den fünften Akt, führt Spielchen mit Rosenkranz (Susana Fernandes Genebra) und Güldenstern (Andreas Schlager), die im roten Raumanzug mit pseudo-elisabethanischer Halskrause begriffsstutzig wie seit Jahrhunderten durch das Set stampfen. Später suhlt sich Hamlet im „Sein oder Nicht sein“-Monolog an der Rampe, während Bilder von all den Hamlet-Darstellern zuvor über die dunklen Gänge der Station flimmern und er sich müht, eine rechte Performance mit dem All-Time-Hit hinzubekommen: eitel und Ich-bezogen – ein Narzisst auf dem Höhepunkt seiner Performance.

Denn alles, was wir in diesem Science-Fiction-Setting sehen, ist Hamlets Spiel. Das deutet die Inszenierung bereits ganz zu Beginn an, als der Dänenprinz aus dem Off die Besetzungsliste des Dramas vorliest. Und das wird auch zwischendurch immer wieder erkennbar, etwa wenn Hamlet mit einem überdimensionalen Textbuch über den Fortgang der Handlung wacht. Dumm nur, dass der vom Nachbarplaneten zurückgekehrte Laertes (Dennis Pörtner) dieses Spiel über der Leiche seiner Schwester durchschaut.

Variante der immer gleichen Inszenierung

Warum Hamlet nicht einfach seinen Stiefvater umgebracht habe – und stattdessen eine Gewaltspirale mit immer neuen Kollateralschäden in Gang gesetzt habe, fährt er den verzogenen Prinzen an. Dann nimmt er seine im mit Blut gefüllten Sarg treibende Schwester in die Arme, versaut sich seinen weißen Anzug und lässt zum Schrecken Hamlets von den Hannoveraner Bühnenarbeitern mal eben das gesamte Science-Fiction-Endzeit-Set entsorgen.

Da nützt Hamlet alles Toben nicht, die schwarzen Männer mit Akkubohrern und Muskel-Power sind stärker. Obwohl er sich mit aller Macht gegen den Abtransport der Kulissen stemmt, steht er zum Schluss ganz allein auf der leeren Bühne. Und will sofort wieder von vorn beginnen, manisch die alte Geschichte durchzuspielen. Diesmal vielleicht in einer Kleinstadt am Nordpol oder auf einer Südseeinsel.

Es ist der große Kniff dieser gelungenen Inszenierung, dass sich das gesamte Setting zum Ende als eine Variante der immer gleichen Inszenierung in Hamlets Kopf entpuppt, der seit Jahrhunderten immer weiter Theater spielen will. Noch während der eiserne Vorhang runterfährt, wehrt er sich verzweifelt gegen diesen Schluss: Er kann nicht schweigen.

Nächste Aufführungen: So, 26.3., 17 Uhr, sowie Do, 30.3., Di, 4.4. und Sa, 8.4., 19 Uhr, Schauspiel Hannover

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