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Hamburger Politzoff im Hinterhof

Wie sich der Streit um den Abriß zweier Hinterhäuser in Hamburg binnen einer Woche zu einer handfesten Koalitionskrise auswuchs / FDP-Senator rennt mit Kopf gegen SPD-Betonwand / Partei verweigert Ingo von Münch die Gefolgschaft  ■  Aus Hamburg Axel Kintzinger

Theodor Jungblut, der sich selbst und den all seine Bekannten nur Tietje nennen, läuft rot an, ballt die Fäuste und hämmert auf den Tisch: „Wir wollen keinen rechtsfreien Raum mehr in St.Pauli“, brüllt der frühere SPD -Bürgerschaftsabgeordnete und heutige Bezirkspolitiker durch den Ratsweinkeller des Hamburger Rathauses. Und legt noch ein paar Dezibel drauf: „Hafenstraße, Schanzenstraße - wir haben die Schnauze voll von diesem Scheiß, jetzt nicht auch noch die Wohlwillstraße!“ Dabei war er lediglich gefragt worden, wie es sich mit der Abrißgenehmigung für zwei Hinterhäuser in der Wohlwillstraße auf St.Pauli verhalte.

Die Häuser stehen seit Anfang der 80er Jahre leer. Eigentümerin ist die Schiffszimmerer-Genossenschaft, Hamburgs älteste soziale Wohnungsgesellschaft. Schon vor fünf Jahren beantragte sie den Abriß der Häuser, doch ob dieses Anliegen im hanseatischen Behördendschungel anerkannt wurde oder nicht, ist noch heute unklar. Zu belegen sind andere Vorgaben: 1987 hatte das Kommunalparlament Hamburg -Mitte einer sogenannten Erhaltungssatzung für die Häuser zugestimmt, und auch die Landesregierung wollte die Gebäude aus denkmalpflegerischen Gründen erhalten.

Vor dem Hintergrund, daß Wohnraum in Hamburg knapp ist und leerstehende Häuser vor allem in St.Pauli schnell das Interesse alternativer Wohnprojekte auf sich ziehen, kam im vergangenen Jahr Bewegung in die Geschichte der Häuser. Die stadtnahe Lawaetz-Stiftung, bis vor kurzem auch Verpächterin der Hafenstraßen-Häuser, erkundigte sich bei der Genossenschaft über die Häuser. Zuletzt, schriftlich, am 23.November 1988. Als sie noch im Januar keine Antwort erhalten hatte, meldete sich Lawaetz telefonisch bei der Genossenschaft. „Noch keine Entscheidung, die Antwort kommt in zwei bis drei Wochen“, hieß es dort. Unmittelbar nach dem Gespräch charterte die Genossenschaft ein Abrißunternehmen. Am Mittwoch kamen die Bagger. Und mit den Baggern eine Welle von Protest - empörte Nachbarn regten sich ebenso auf wie Kultursenator Ingo von Münch (FDP), nach Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) stellvertretender Regierungschef. Als Münch vom Beginn der Abbrucharbeiten hörte, stellte er die Häuser „vorläufig“ unter Denkmalschutz - die Abbrucharbeiten wurden vorerst dennoch nicht gestoppt. Denn: Die entscheidenden Stellen in der Bezirksverwaltung ignorierten das per Boten überbrachte Schreiben; erst als der Dachstuhl und teilweise auch schon das Mauerwerk demoliert waren, wurden die Arbeiten unterbrochen. Münch war stinksauer. Niemand hatte ihn von den Abbruchplänen informiert. Und das, obwohl ihm die Denkmalpfleger, die man hätte unterrichten müssen, unterstehen.

Der Eklat war perfekt. Kultur-Staatsrat Knut Nevermann nannte das Vorgehen ungeniert einen „Komplott“, und selbst konservative Lokalblätter titelten verblüfft: „Eine Nacht und Nebel-Aktion der rechten SPD.“ Nach und nach kam heraus, daß der Abriß nicht nur von stramm rechten Sozialdemokraten im Bezirk Mitte und in der Genossenschaft selbst initiiert, sondern auch von höchsten Stellen, zumindest von Bausenator Eugen Wagner (SPD), gedeckt wurde. Aus der Baubehörde kamen dann auch die schärfsten Töne gegen den Kultursenator - mit feixendem Wohlwollen von Bürgermeister Voscherau geduldet.

Die latente Mißstimmung zwischen Voscherau und Münch wurde auch nicht durch einen Senatsbeschluß entschärft, wonach die Stadt der Genossenschaft die Häuser notfalls abkaufen will eine inzwischen überholte Entscheidung. Die Schiffszimmerer wollen, unterstützt von breiten SPD-Kreisen, um jeden Preis abreißen.

Donnerstag nachmittag eskalierte die Situation im Rathaus. Unter Umgehung der von einem SPDler geleiteten Staatlichen Pressestelle verschickte Münch ein Schreiben an die Redaktionen, das es in sich hatte: „Die Attacken von führenden SPD-Politikern auf die Kulturbehörde sind ein schlechter Vorgeschmack darauf, in welcher Schlammschlacht die SPD den nächsten Wahlkampf in Hamburg zu führen gedenkt.“ Deftige Attacken gegen die Person Henning Voscheraus schlossen sich an.

Doch der kann diese Kriegserklärung gelassen entgegennehmen: Münch steht auf fast verlorenem Posten, selbst die FDP verweigert ihrem populärsten Politiker in dieser Frage die Gefolgschaft. Das vorerst letzte Wort wird die Justiz sprechen. Die Schiffszimmerer-Genossenschaft hatte das Verwaltungsgericht angerufen, um gegen den von der Kulturbehörde verhängten Abrißstopp zu klagen. Der FDP -Senator hat für den Fall einer Niederlage schon jetzt angekündigt, bis in die letzte Instanz zu gehen. Es ist ihm ernst. Nicht nur wegen der Wohlwillstraße.

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