Hamburger Hommage an Leonore Mau: Magische Kamera
Die Deichtorhallen ehren die kürzlich verstorbene Fotografin Leonore Mau mit ihren Bildern der Geheimkulte und Synkretismen Afrikas und Südamerikas.
„Die Rituale der katholischen Nonnen-Ordination haben mich schon als Kind fasziniert.“ Später hat Leonore Mau extremere Rituale fotografiert: Voodoo in Haiti, Santería auf Kuba, Macumba und Candomblé in Brasilien. Einweihungen mit Tierblut, Trancen und Besessenheit durch Gottheiten waren das – alles nicht für Außenstehende gedacht. Erst recht nicht für eine neugierige Europäerin mit Kamera.
Aber Leonore Mau hat es geschafft, da hineinzukommen. Und da sie am 22. September 2013 mit 97 Jahren in Hamburg starb, haben ihr die Deichtorhallen zeitnah eine Hommage mit ihren Porträts gewidmet, die von Ingeborg-Bachmann-Bildnissen bis zum Karneval in Haiti reichen. Mau war nämlich Lebensgefährtin des experimentellen Schriftstellers Hubert Fichte, der Romane wie „Versuch über die Pubertät“, „Die Palette“ und “Geschichte der Empfindlichkeit“ schrieb, offen über seine Homosexualität sprach und schon in den 1970er Jahren afrikanische und südamerikanische Kulte erforschte.
Leonore Mau verband sich als 46-Jährige mit dem damals 27-Jährigen, der sich als „Ethnopoet“ verstand. Sie waren bis zu Fichtes Tod 1986 auch künstlerisch ein gutes Paar und gaben mit „Xango“ und „Petersilie“ Text-Bild-Bände über die bereisten Regionen heraus, die sich aber schlecht verkauften. Zu Unrecht, denn diese Bücher drangen tief ins Innenleben geheimer Kulte ein.
Ethnopoetische Gratwanderung
Dass es eine Gratwanderung war, wusste Fichte, der gern Geheimnisträger wie Priester interviewte: Man wandere stets auf dem Grat zu Kolonialismus und Ausbeutertum, fand er. Folglich brachte er seinen Output nicht in eine wissenschaftlich korrekte, aber einengende Systematik ein, sondern in Ethnopoesie, die die Grenze zwischen Forscher und Objekt aufhob.
Für Leonore Mau, mit dem indiskreten Genre „Foto“ unterwegs, war diese Osmose komplizierter, aber sie gelang: Der venezolanische Maria-Lionza-Priester mit blutendem Huhn auf dem Kopf und die brasilianische Condomblé-Priesterin, die Punkte auf einen Körper tupft: Sie sind hochkonzentriert arbeitende Menschen, die eine genauso wichtige Tätigkeit verrichten wie andere Werktätige.
Auch die Authentizität des vom Schlangengott Besessenen und der Macumba-Frauen in Trance hat Mau nie bezweifelt. Ihre Fotos atmen eine dezente Ehrfurcht, aber auf Distanz. Einmal allerdings nahm Mau ohne Kamera an einer Voodoo-Zeremonie teil und wurde ohnmächtig. „Mit Kamera wäre mir das nie passiert“, sagte sie später. „Da ist man so wach.“
Gott Eschu bespuckt die Foografin mit Bier
Die Gefahr des Eingesogenwerdens, des In-einen-Kult-Hineingeweihtwerdens war also da. Vielleicht hat es auch stattgefunden, Mau sprach nie darüber. Fichte schon – im Roman „Hotel Garni“ zum Beispiel, mithilfe der Alter Egos Jäcki und Irmi sowie in Versen. „Eine Fotografin wird von dem Gott Eschu mit Bier bespuckt“, schreibt er. „Eine Fotografin wird Teil der Zeremonie.“
Mau habe „die ganze Geschichte in einer Tausendstelsekunde“ erfasst, schrieb Fichte, und das heißt auch: Diese Bilder können nicht vorab konzipierte oder gar gestellte Kunstwerke sein, sondern eher „Work in Progress“. Was hat Mau den Leuten erzählt, um fotografieren zu dürfen? Vermutlich haben die Priester der Kamera irgendwann eine Magie zugeschrieben, die stärker wog als das Bilderverbot.
Tatsache ist jedenfalls, dass Voodoo-Priester in einer New Yorker Schau kleine Zauber vor Maus Fotos vollzogen, um sie vor dem Blick der Europäer zu schützen. Fichte beneidete Mau darum, dass sie „schwarz geworden“ war und es geschafft hatte, von Afrikanern geliebt zu werden.
Fichtes Texte brachten es nie zu einer schwarzen Leserschaft. Wohl aber zu exklusivem Vertrauen: Kaum jemandem sonst haben afrikanische Psychiater so ausführlich von ihrem Lavieren zwischen West-Medizin und Kult erzählt. Und nur Leonore Mau hat damals die togoischen Dörfer, in denen Geisteskranke und Pfleger lebten, fotografiert.
Der World-Press-Preis 1975
Eins davon hängt in der Hamburger Schau: Der „Junge mit Blister-Maske aus Benin“. Er hat eine Aluminium-Tablettenpackung als Brille vors Gesicht gehängt. Für dieses Foto hat Mau 1975 den World-Press-Preis bekommen, und zum Titel der Hamburger Schau passt es perfekt. Denn die Janusköpfigkeit westlicher Medizin kann man gut als „Zweites Gesicht“ deuten, ist sie doch ein später Ausfluss des Kolonialismus.
Dieses Politikum betrifft fast alle von Fichte und Mau erforschten Religionen: Die meisten sind synkretistisch, vereinen Katholizismus und Kult, weil die missionierten Sklaven ihre Riten – teils mit Billigung der Missionare, die gute Konversionszahlen brauchten – beibehielten. Im Voodoo etwa verkörpern die Bildnisse katholischer Heiliger zugleich afrikanische Geistwesen. Und der Obatalá-Gott der kubanischen Santería ist identisch mit Jesus Christus. Ein guter Kompromiss für die Menschen, für die Tradition bis heute Identität bedeutet.
Das ist auch das Fazit, das die Mau-Ausstellung in Hamburg nahelegt: Kulte – auch deren formale Strenge – als stabilisierenden Akt zu betrachten, der sich in Teilen auch im Westen findet. Pina Bausch, erzählt Mau in einem Film, habe sie einmal gefragt, wie sie die Vorstellung fand. „Ich kam mir vor wie beim Voodoo“, habe Mau geantwortet. „Diese Riten sind auch sehr streng choreographiert.“ Pina Bausch habe das gefallen.
■ Bis 23. 3. 2014, Hamburg, Deichtorhallen. Ausstellungsbroschüre, ca. 20 Seiten, 2 Euro
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