piwik no script img

Hamburger FußballfehdeBrutaler Überfall auf St. Pauli-Fans

Ein gemütlicher Fußballausflug nach Freiburg endet im Hinterhalt von Fans des Stadtrivalen HSV. Nun bereitet das Lokalderby in vier Wochen den Klubs und der Polizei Kopfzerbrechen.

St. Paulianer - im Stadion gejubelt, im Bahnhof verprügelt. Bild: dpa

HAMBURG taz | Es war eine lange Zugfahrt, die die St. Pauli-Fans nach dem Auswärtsspiel in Freiburg am Samstag hatten. Dennoch kamen rund 50 von ihnen weit nach Mitternacht entspannt und glücklich in Hamburg-Altona an. Schießlich hatte ihre Mannschaft das erste Bundesligaspiel seit acht Jahren mit 3:1 gewonnen. Und die Profis fuhren im selben Zug nach Hause, es gab auf der Rückfahrt ausgiebig Zeit zum Klönschnack.

Niemand hatte damit gerechnet, dass der 2:1-Heimsieg des HSV gegen Schalke 04 am Abend nicht bei allen Anhängern ähnliche Gefühle auslösen würde: Eine Gruppe von 15 bis 20 Hooligans, einige von ihnen mit Schals maskiert, lauerten einer Handvoll St. Pauli-Fans am Altonaer Bahnhof auf. Ohne Vorwarnung schlugen und traten sie auf die müden und völlig überraschten St. Paulianer ein und bewarfen sie mit Flaschen. Auch am Boden liegende Menschen wurden weiter getreten.

Zwei 16-Jährige erlitten Prellungen und Schürfwunden, ein Erwachsener verlor unter den Schlägen sein Hörgerät und seine Brille. Auch St. Paulis Ersatztorhüter Benedikt Pliquett war mit den Fans in Altona ausgestiegen. Er wehrte Tritte mit seinem Koffer ab und rief die für den Bahnhof zuständige Bundespolizei hinzu, die sofort mit Schlagstöcken und Tränengas gegen die Angreifer vorging. Ein 16-jähriger Hooligan habe mit einem Begrenzungspfahl nach den Beamten geworfen, heißt es im Polizeibericht.

Drei der Angreifer wurden festgenommen. Sie sind alle in der umstrittenen Datei "Gewalttäter Sport" erfasst. Bei sich trugen sie Dauerkarten für die Heimspiele des Stadtrivalen Hamburger Sportverein.

Die St.-Pauli-Fans waren nach Polizeiangaben friedlich. "Das war wie ein Familienausflug", sagt Rainer Urban, Sprecher der Bundespolizei. Die Randalierer hatten ihnen offenbar gezielt einen Hinterhalt gelegt - "absolut hooligan-typisches Verhalten", so Urban.

Beim HSV ist man über das Verhalten der eigenen Anhänger ebenso betroffen wie ratlos. Präsident Bernd Hoffmann entschuldigte sich bei seinem Gegenüber Stefan Orth und den Opfern. "Dieses Verhalten der vermeintlichen HSV-Anhänger ist absolut beschämend und trübt die Freude über den tollen ersten Spieltag für beide Vereine", sagte er.

Auch die Fan-Abteilung "Supporters Club" verurteilte den Angriff. Der HSV-Fanbeauftragte Mike Lorenz war ebenfalls schockiert, bemühte sich aber, klar zu machen, dass Hooligan-Übergriffe kein spezifisches HSV-Problem seien: "Jeder Club hat eine Klientel, der so was zuzutrauen ist - auch St. Pauli, wie man beim letzten Spiel in Rostock gesehen hat", sagte er. Von der Härte und dem planmäßigen Vorgehen der HSV-Hooligans war allerdings auch Lorenz überrascht.

Der HSV kündigte an, die Täter mit aller Härte zu bestrafen, sobald man ihre Namen habe. Neben einem bundesweiten Stadionverbot droht ihnen eventuell auch der Ausschluss aus dem Verein, falls sie Mitglieder sind.

Besondere Brisanz hat der Vorfall, weil in vier Wochen am Millerntor das erste Hamburger Lokalderby seit acht Jahren ansteht. Nachdem die langjährige Rivalität der beiden Vereine durch St. Paulis Abstiege an Schärfe verloren hatte, waren ihre Fans zuletzt nur in Auseinandersetzungen mit Anhängern anderer Clubs verwickelt. Nun gilt das Derby in der Bundesliga als Risikospiel. Schon seit Wochen beraten beide Clubs darüber, wie man Gewalt verhindern kann. Es wird befürchtet, dass der Vorfall vom Samstag zu einer Eskalation beitragen könnte.

Die Polizei ließ bereits wissen, dass sie die Erkenntnisse aus dem Überfall in ihr Einsatzkonzept für das Derby einbeziehen werde, ohne jedoch konkreter zu werden. Der Vorfall hat auch einen uralten Hamburger Streit über den Austragungsort wieder angefacht: Sind An-und Abreise zum Millerntorstadion in den engen Straßen St. Paulis überhaupt zu schützen? Oder wäre eine Verlegung ins HSV-Stadion im Volkspark für die St. Pauli-Fans nur noch gefährlicher, weil sie auf den langen Fußwegen zum Stadion quasi auf dem Präsentierteller für mögliche Angreifer lägen? St. Paulis Sprecher Christian Bönig will die Debatte gar nicht erst führen: "Vermessen", sei es, ein Ereignis, das irgendwo am Bahnhof passiert ist, auf die Lage am Stadion zu beziehen. "Wir haben am 4. Spieltag ein Heimspiel am Millerntor, und gut", sagt Bönig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • U
    Urgestein

    Schade, auch hier hat's gestern beim ersten Mal wohl nicht so geklappt.

     

    Erneut eingestellter Kommentar:

     

     

    @Auxarmes

     

    In dem Artikel der badischen Zeitung wird das Alter der Schweizer Fans mit "24" und "26" angegeben, Erwachsenenalter also.

     

    Merke: "JUNGE" Fans ungleich "JUGENDLICHE" Fans.

     

     

    @Marco

     

    Auf der einen Seite haben wir 4 (in Worten: vier) des Geländes eher unkundige und zudem alkoholisierte junge Männer, die mit zwei einheimischen ebenfalls jungen Männern, die ihnen über den Weg laufen, in Handgreiflichkeiten geraten. Wer da wen zuerst provozierte, ist nicht überliefert. Klar ist jedoch, dass das ganze eine eher zufällige, Auseinandersetzung im Affekt ist.

     

    Auf der anderen Seite haben wir 15 (in Worten: fünfzehn) junge Männer, die weder alkoholisiert noch zufällig einer Gruppe von 20 Menschen in einem Hinterhalt auflauert. Es handelt sich um ein geplantes, absichtsvolles Vorgehen, welches neben Ortskundigkeit und einem gewissen Grad an Organisation und Vorbereitung vor allem eines zwingend erfordert: VORSATZ.

     

    Weder "Zufall" noch "Affekt" spielen hier eine Rolle. Daher sind die beiden Vorfälle auch in keinster Weise miteinander vergleichbar.

     

    Wie stark die Bindung der Schweizer zum FC St. Pauli ist wissen wir nicht, weder ob sie Vereinsmitglieder sind, noch ob sie in einem eingetragenen Fanclub Mitglied sind, noch ob sie regelmäßig Spiele des FC St. Pauli besuchen. Über die gefassten Straftäter in Hamburg wissen wir hingegen, dass sie im Besitz sowohl von Mitgliedsausweisen als auch von Dauerkarten des HSV waren.

     

    Niemand stellt die These auf, dass Mitgliedschaft bei einem bestimmten Club und "aktionsorientiertes Auftreten" sich pauschal ausschliessen oder pauschal bedingen. Dein Verweis nach dem Motto "Die haben aber auch..." ist also weder zielführend noch in irgendeiner Weise hilfreich.

  • G
    GabiPauli

    wundert mich nicht. beim hsv gibt's nicht nur einen gewaltbereiten teil der fans sondern auch einige neonazis der übelsten sorte (die zweitligisten haben in den 90ern vor meiner haustür gespielt, da grölten immer mal wieder einige hsv-anhänger HeilHitler. die anwesende polizei hat das einen feuchten kehricht interessiert). damals ging ein schnuckliges kleines lokal im volkspark, das auf dem weg zum stadion lag, nach verlorenen spielen immer wieder mehr oder wendiger vollständig zu bruch, weil durchgeknallte hsv-fans heftigste randale machen mussten. die besitzer haben den laden dann irgendwann entnervt dicht gemacht. dass der hsv das problem seiner gewaltbereiten fans immer noch nicht in den griff bekommen hat, ist ein armutszeugnis.

  • A
    Auxarmes

    @ Marco: Vier jugendliche St. Pauli Fans aus der Schweiz? Das klingt nach den führenden Köpfen der organisierten St. Pauli Fanszene, dass man sowas nicht mit dem Artikel gleichsetzt ist absolut unerklärbar. Vielen Dank dass sie uns allen die Augen geöffnet haben. Da kann man also getrost weiter auf Unschuldige einprügeln dass die Hörgeräte fliegen!

  • S
    ösizecke

    Die Dachzeile des Artikels "Hamburger Fußballfehde" ist vollkommen irreführend - als ob es solchen Honks um Fußball gehen würde! Gute Besserung den Verletzten. Und die Honks sollten nie wieder ein Stadion betreten dürfen. Und @ Marco Hermann: Nur weil irgendein badischer Provinzschreiberling die Pressemiteilung der badischen Provinzpolizei übernimmt, heißt das ja nicht, dass "Vier junge Schweizer, laut Polizei St.Pauli-Fußballfans" auch wirklich Pauli Fans waren. Wobei ich das nicht ausschließen möchte und grundsätzlich an die Pauli-Fans appellieren würde, soziale Kontrolle walten zu lassen.

  • G
    Gegengerade

    @ Marco Hermann der schrieb:

    >>>Übrigens habe ich diese Meldung, die komplett ignoriert wird, ebenfalls entdeckt:

     

    www.badische-zeitung.de/freiburg/st-pauli-fans-schlagen-passanten-zusammen--34543173.html

  • U
    Urgestein

    Stell Dir vor, Du fährst mit dem Auto in die Stadt einkaufen und drei Strassen weiter wird ein Überfall verübt, der Täter flüchtet unerkannt zu Fuss. Im Zuge der Ermittlungen werden von der Polizei alle Auto-Kennzeichen des Blocks notiert. Sollen die Halter dann alle ihren Führerschein verlieren?

     

    Ungefähr mit der gleichen Streubreite arbeitet die Datei "Gewalttäter Sport". Das sollte jedem in der Diskussion hier klar sein.

  • CC
    Claus Carstensen

    Das war spontan auch mir unverständlich.

     

    Wenn die schon aktenkundig sind, dann haben die im Großbereich Stadion längst nichts mehr verloren.

  • MH
    Marco Hermann

    Übrigens habe ich diese Meldung, die komplett ignoriert wird, ebenfalls entdeckt:

     

    http://www.badische-zeitung.de/freiburg/st-pauli-fans-schlagen-passanten-zusammen--34543173.html

     

    ^^interessante Meldung

     

    Heißt ja gerade nur die HSVér wären Gewalltbereit

  • O
    Opa

    Das weiß glaube ich niemand so wirklich. Wahrscheinlich der einfacheren Überwachung und Verurteilung.

    Das Problem ist, dass es keine transparenten Gründe für einen Eintrag in diese Datei gibt.

    Wenn ein Fussballfan also seine Personalien angeben muss kann das zu einem Eintrag führen - Personalienabgabe kann ziemlich willkürlich erfolgen, ein Großteil der regelmäßigen Auswärtsfahrer wird das bestätigen können.

     

    Was den Angriff gegen diese Fans angeht, geht natürlich gar nicht, wobei das in den Medien schnell auch mal falsch dargestellt oder übertrieben werden kann...

  • D
    dennis

    und ich hab's noch gesagt. am samstag lag in hamburg (ausdrücklich auf beiden seiten!) so eine aggressive stimmung in der luft. es war klar, dass was passieren musste. und dass sich die medien darauf stürzen wie die aasgeier war noch klarer. das ist so traurig. jetzt muss man sich wieder sorgen machen, dass nicht einer wegen einer falschen t-shirt-farbe auf's maul kriegt. dieses ganze rechts/links-blabla geht wieder los. armes fußballdeutschland! die haben doch alle nichts zu tun.

  • HM
    Herr Müller

    Ich wünsche den Paulianern, dass ihr Club im Lokalderby die entsprechende sportliche Antwort findet! Forza St. Pauli!!!

  • M
    mcebel

    die datei wird bei der polizei geführt - nicht beim hsv.... bei 32.000 dauerkartenbesitzern einen datenabgleich zu machen bedeutet nicht nur einen immensen aufwand, auch juristisch stellen sich da einige fragen. aber was spricht gegen eine info durch die polizei? allerdings fand der überfall auch nicht im stadion statt.

  • MN
    Mein Name

    Super Frage, die ich auch gerne beantwortet hätte!

  • F
    Fußballfan

    @ FrauMayer

     

    Ärgerlicherweise wird über diese Datei in keinem entsprechenden Artikel näher erläutert.

     

    In diese Datei steht jeder, dessen Personalien im Rahmen eines Fußballspiels aufgenommen werden.

     

    Es kann also passieren, dass sie in einer "Fußballstadt" an einem Spieltag in einem Café sitzen und sich dort eine Fan-Masse einfindet. Wenn die Polizei beschließt, die Fans von dort zu entfernen und dabei alle Personalien überprüft und festhält (und dabei auch mit dieser Datei abgleicht), kann es also auch ihnen passieren, dass sie in dieser Datei landen.

     

    Diese Datei ist verfassungsrechtlich stark umstritten und eine Löschung ist nur mit großen juristischen Mühen möglich.

     

    Ebenso ist die Bezeichnung "Hooligans" hier sport-soziologisch eindeutig falsch. "Kriminelle" oder "Schläger" passt da eher.

     

    Eine sehr abscheuliche Tat, die wohl (mal wieder) zur unschönen Folge haben wird, dass Tausende (friedlicher) Fußballfans kriminalisiert und noch mehr schikaniert werden dürften.

  • B
    bla

    Zitat Fansprecher HSV:

    "Jeder Club hat eine Klientel, der so was zuzutrauen ist - auch St. Pauli, wie man beim letzten Spiel in Rostock gesehen hat."

     

    Immer schön auf andere zeigen. Aber worum handelt es sich bei "so was"? In Rostock wurde Pyrotechnik gezündet, nicht? Und bei diesem Vorfall eine Gruppe nicht erlebnissuchender Fans angegriffen. Sollte man das gleichsetzen?

     

    Und ob das "absolut hooligan typisches" Verhalten ist (Polizist), sei auch dahin gestellt, schließlich misst man sich in bestimmten Kreisen eher mit Gleichgesinnten und nicht mit einem Familienausflug.

  • R
    robert

    mekwürdig: erst eine woche vorher gab es auch einen zwischenfall nach dem pokalspiel zwischen dem chemnitzer fc und st. pauli. am abend nach dem spiel wurde ein feier, welche anlässlich des spiels stattfand, von mehr als 50 vermummten gestürmt.

  • F
    FrauMayer

    Vermerkt in der Datei "Gewalttäter Sport" und dennoch Dauerkarte für den HSV? Wozu wurde diese Datei eigentlich angelegt?