: Haltung in der Krise
ANTIKER MYTHOS Trotz Sparmaßnahmen ist das internationale Theaterfestival im griechischen Epidauros ein Publikumsmagnet
VON REGINE MÜLLER
Griechenland ächzt unter der Krise. Und wie in allen Kulturnationen wird auch dort in der Krise gerade die Kultur nicht verschont von drastischen Einsparungen. So muss Yorgos Loukos, seit vier Jahren Intendant des Hellenic Festivals, in diesem Jahr sein fast drei Monate umspannendes Programm mit einem um 20 Prozent gekürzten Budget stemmen.
Seit seinem Amtsantritt hat Loukos das Festival internationalisiert, das Programm behutsam erweitert und neue Spielstätten erschlossen. Die Kürzungen könnten einen herben Rückschritt markieren, doch Loukos nutzt die Krise auf verblüffende Weise als Chance. Denn er hat zwar zwangsweise einige Produktionen gestrichen, aber auch die Eintrittspreise radikal gesenkt, im Schnitt um 30, teilweise sogar um bis zu 50 Prozent. Mit dem Erfolg, dass die Auslastung enorm gestiegen ist, denn viele Griechen leisten sich im Krisenjahr keinen Urlaub, gehen aber stattdessen ins Theater.
Geschickter Vernetzer
Dass das Programm immer noch von imposanter Vielfalt ist, verdankt sich Loukos’ Geschick als international vernetzter Koproduzent. Zum Beispiel mit dem Projekt „Promethiade“, das drei Stücke zur Aktualität des Prometheus-Mythos in der Kulturhauptstadt Istanbul und im Essener Zollverein zeigte, darunter Theodoros Terzopoulos’ Inszenierung von Aischylos’ „Der gefesselte Prometheus“ und „Prometheus in Athen“ des Performer-Kollektivs Rimini Protokoll, das insbesondere in Athen einen überwältigenden Erfolg hatte. Dort standen 103 Bewohner der griechischen Hauptstadt auf der Bühne des Odeon des Herodes Atticus und erzählten, mit welcher Figur des antiken Mythos sie sich identifizieren könnten. Und dokumentierten damit – streng orientiert am statistischen Mittel der Bevölkerung – Stimmung und Haltung der Athener zur aktuellen Krise.
Zweifach vertreten war in diesem Jahr auch wiederum Thomas Ostermeiers Berliner Schaubühne: mit dem Ibsen-Gastspiel „John Gabriel Borkmann“ und der Neuproduktion von Shakespeares „Othello“. Am Freitag war Premiere im antiken Theater von Epidauros aus dem 4. Jahrhundert vor Christus. Würden dort nicht gerade Teile saniert, könnten die steil ansteigenden 55 Sitzreihen 14.000 Menschen fassen. Derzeit sind 10.000 Zuschauer zugelassen, bei der griechisch übertitelten „Othello“-Premiere waren es knapp 5.000 Menschen.
Es ist nicht allein die schiere Größe von Epidauros, die überwältigend ist. Die zwingende Aura des Orts scheint nichts Kleines zuzulassen. Keine Halbheiten. Die Fallhöhe ist hier sozusagen immanent. Man kann sich dem Ort eigentlich nur ergeben. Das wusste Thomas Ostermeier natürlich, als er zusagte, erstmalig dort zu inszenieren. Doch Ostermeier gab vorab zu Protokoll, dass er gedenke, mit dem Ort auf widerständige Weise umzugehen. Einen Fremdkörper wolle er dort implantieren und einen Kontrapunkt setzen. So hat Jan Pappelbaum die Weite des Blicks mit einer Rückwand verstellt, zwei Schiebewände mit Leuchtstoffröhren sorgen für sparsame Verwandlungen.
Desdemonas Röcheltod
Auf der Bühne steht knöcheltief brackiges Wasser. Mal schimmert es violett, dann schwarz, dann dunkelrot, zwischendurch wird es abgelassen, später läuft das Becken wieder ganz voll. An drei Rändern stehen Stühle im Wasser, die Protagonisten bleiben während des ganzen, fast dreistündigen Abends fast ununterbrochen präsent, in der Mitte steht anfangs ein großes Bett, das rasch hinausgeschoben wird und erst zu Desdemonas Röcheltod wieder zu Ehren kommt.
Der Abend beginnt mit einem langen Trompetensolo von Nils Ostendorf, einer kleine Band mit Keyboard, Schlagzeug und Saxofon assistiert, und die Schauspieler betätigen sich als klopfende Rhythmusgruppe. Dann endlich geht es los, der kahlköpfige weiße Othello (Sebastian Nakajew) zieht sich aus und bemalt sich mit schwarzer Farbe, Desdemona (Eva Meckbach) lässt das Höschen an, man schmust angeregt, dann wird das Paar ins Bett gestopft und hinausgeschoben.
Das Drama beginnt zunächst als beiläufiges Konversationsstück. Jago (Stefan Stern) ist ein aufgekratzter Karrieretyp, nervös, geschäftig und mit schnoddrigem Witz begabt, Othello leicht verspannt, Desdemona verhalten schüchtern, aber bodenständig. Marius von Mayenburg hat für Epidauros – und für Berlin, denn im Oktober kommt die Inszenierung an der Schaubühne heraus – eine neue, schnörkellose und oft witzige Prosatextfassung geschrieben, die Shakespeares Dramaturgie zugunsten Jagos verschiebt.
Quasseln im Stakkato
Er ist das umtriebige Zentrum des Abends, ein nicht einmal uncharmanter Netzwerkertyp, der ständig seine Fäden zieht, sich zwischendurch als Entertainer im weißen Sakko mit Glitzer-Revers verdingt und ein Tänzchen wagt. Unentwegt erklärt er sich, verrät seine Motive und quasselt im Stakkato.
Stefan Sterns Jago bleibt konsequent ein Normalo der Facebook-Generation ohne jede Dämonie, seine Brutalität wurzelt in der geheimnislosen Untiefe eines Nichtcharakters.
Ganz anders Sebastian Nakajews Othello, der sich vom unsicheren Kraftpaket schnaubend und zitternd zur Kampfmaschine aufpumpt und sich in epileptischen Krämpfen windet. Sein Crescendo der Selbstzerstörung rutscht jedoch ab ins Überdeutliche, Groteske, was den finalen Szenen etwas Hilfloses gibt. Insgesamt wackelt das Timing spürbar, das die Regie – auch der kurzen Probezeit geschuldet – noch nicht im Griff hat. Thomas Ostermeier erzählt linear, immer genau am Text und führt sein Personal bis auf die Schwächen im Timing souverän und locker. Ein klares Konzept indes will sich nicht recht herausschälen, und in der Summe lässt der Abend doch eigenartig kühl.