Halbzeit bei den Salzburger Festspielen: Der Franz in uns allen
Auf ein durchwachsenes Opernprogramm folgt nun ein Wortkonzert nach Schiller - Nicolas Stemann inszeniert "Die Räuber" in der umfunktionierten Salinenhalle in Hallein.
M it der großen Oper machen die Salzburger Festspiele ihr größtes Selbstdarstellungsgetöse. Dabei bieten das Schauspiel- und Konzertprogramm oft weitaus Interessanteres, vor allem Politischeres. Doch die Felsenreitschule, das Haus für Mozart und das Große Festspielhaus bieten halt, nebeneinander in der Hofstallgasse, die beste Kulisse für jene Auffahrt der gut zahlenden Gäste aus aller Welt samt Nobelkarossenzirkus.
Seit Herbert von Karajans Nachfolger, Gerard Mortier, da in den Neunzigern ziemlich wortgewaltig und programmatisch dazwischengefahren ist, darf man aber auch in Salzburg nicht nur mit großen Namen und Opulenz, sondern auch mit ästhetisch herausfordernder Kunst rechnen. Volltreffer, die Glamour und Kunst gleichermaßen bedienen, gelingen freilich nur selten.
Zur reichlichen Halbzeit seines zweiten Jahres muss sich Festivalchef Jürgen Flimm diesmal einen "Otello" ankreiden lassen, wie man ihn lange nicht so statisch, verstaubt und uninspiriert gesehen hat, Riccardo Mutis Orchestersturm hin oder her. War Gounods "Romeo et Juliette" in der Planung noch als Steilvorlage für das "Traumpaar" Netrebko/Villazon gestartet, landete es als kulinarisches Mantel-und-Degen-Leichtgewicht, vor allem aber als Wiedereinstieg für Rolando Villazon nach dessen Bühnenpause und ohne die schwangere Anna Netrebko. Immerhin war Claus Guths "Don Giovanni" im nächtlichen Wald atmosphärisch dicht und exzellent gesungen von Erwin Schrott als Leporello und Dorothea Röschmann als Donna Elvira. Mit einer "Blaubart"-Inszenierung von Johan Simons in der Ausstattung von Malerstar Daniel Richter, sogar durch Rebecca Horns Version von Salvatore Sciarrinos "Tödlicher Blume" ist die Opernbilanz dann am Ende vielleicht doch nicht ganz so finster wie Otellos Maske.
Beim Schauspiel, das von Thomas Oberender verantwortet wird, fügt sich zum Auftakt-Coup mit Andrea Breths beklemmend faszinierender Theaterversion von Dostojewskis "Schuld und Sühne", das von Jens Harzer über Udo Samel bis Elisabeth Orth den puren Besetzungsluxus bot, gegen Ende des Premierenreigens noch ein aufgemischter Klassiker. Und zwar ausgerechnet "Die Räuber": Das Jugendstück, das als ungestüm, aber auch irgendwie als verkorkst gilt. Ein Stoff jedenfalls, der den nachmaligen Klassiker nicht gleich raushängen lässt.
In die umfunktionierten Salinehallen in Hallein, vor den Toren Salzburgs, passt das natürlich ziemlich gut. Hier umweht die Salzburger Festspiele ohnehin am wenigsten die Gefahr einer gehobenen Sommerunterhaltung. Diese längst etablierte Zusatz-Spielstätte fürs Schauspiel und die offene Form ist die Dependance des Nobelfestivals fürs extravagant Experimentelle. Hier hat das auf Gegenwart bestehende und seine Form immer wieder neu suchende Theater seinen Platz gefunden. So vollendeten etwa Jan Lauwers und sein Needcompany ihre in der Form grenzgängerische Trilogie "Sad Face/Happy Face" hier mit einem bejubelten dritten Teil "Hirschhaus".
Regisseur Nicolas Stemann hat sich in Österreich vor allem mit seinen Jelinek-Uraufführungen einen (guten) Namen gemacht. Auch bei Schiller wirft er sich in den Text, macht mehr "Wortmusik", als dramatische Exerzitien zu unternehmen. Meist im Quartett von vier jungen Kerls (Philipp Hochmair, Daniel Hoevels, Felix Knopp, Alexander Simon). Die sind der Karl. Und auch Franz, die Kanaille. Und die Räuberbande, versteht sich. Im fliegenden Wechsel der Worte und der angedeuteten Kostüme. Spießiger Pollunder für den Franz, der gleich ans Erbe des Vaters (Christoph Bantzner) will. Und an Karls Amalie (Maren Eggert).
Weißes offenes Hemd, wenn es um die Revolte gegen das tintenklecksende Säculum geht. Die Revolte läuft alsbald aus dem Ruder. Und auf der Bühne, vor der Metallwand, auf die der Titel, der fremde Wald und das heimische Schloss mit wackeliger Kleinstkamera vom kleinen Modell am Rand aus projiziert werden können, eskaliert die Wortmusik, die (immer original) von Schiller kommt. Beim Kerngeschäft des räuberischen Terrors wird sie auch schon mal zum aggressiv ohrenbetäubenden Hardrock.
Am Ende kracht es: Brudermord im Kleinen, ein brennendes Schloss im Großen. Franz wird im zerfransenden Schlusschaos aufgehängt. Amalie fällt nach einem Schuss. Hier gibts keinen Mann, dem am Ende geholfen werden kann, mit dem Kopfgeld für den Räuber Karl Moor. Dessen so gespaltene wie kollektive Identität hat sich aufgelöst.
Stemann nimmt diesen Schiller, als wäre es ein Text von heute, behandelt den hohen Ton des Junggenies, als müsste er ihn bühnentauglich machen. Und schmuggelt doch auch das Pathos wieder ein.
Aber nicht wie eine Melodie aus ferner Zeit, sondern wie eine innere Stimme unter der Oberfläche. Was die sagt, ist nicht immer restlos klar, aber erstaunlich deutlich. In ihrer Mischung aus Irritation und originellem Zugriff ist diese Koproduktion mit dem Hamburger Thalia Theater ein Erfolg für Salzburg.
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