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Halbwegs energisch

Luftsprünge, Gitarrenkauderwelsch und slicke Legenden-Geschichtspflege: Die Jon Spencer Blues Explosion am Ostermontag im Grünspan  ■ Von Barbara Schulz

Es war ein kalter Abend im Herbst, Anfang der 90er Jahre. Ein hübscher dunkelhaariger, blässlicher und dünner Mann schrie sich die Seele aus dem Leib, wand sich wie in Krämpfen und traktierte seine Gitarre wie ein Verrückter; neben ihm spielte ein noch dünnerer und noch blasserer Kerl mit in die Augen (und -ringe) hängendem Haar die zweite Gitarre wie einen Bass, und hinten haute der Dritte im Bunde, ein kräftiger, lockenköpfiger Halbirrer, dermaßen auf sein Schlagzeug ein, dass man dachte, alle drei wären mindestens von allen guten Geistern verlassen worden. Der hübsche Dunkelhaarige schrie immer wieder „Ye-ah!!!“ – sein Markenzeichen – und sprang an die Decke, was ob seiner Körpergröße eine Leistung war, und blieb dort hängen, bevor er wieder auf die Bühne zurückkrachte. Das alles fand im MarX statt – und alle, die dabei waren, waren sich sicher, etwas Großes gesehen zu haben, ja, mehr noch, gerade eine andere Art von Sex mit einer Band gehabt zu haben: mit The Jon Spencer Blues Explosion!

Alle, die anschließend in die Kneipe stolperten, hatten fortan eine Flamme in ihrem Herzen, entzündet von drei Furcht einflößenden Gestalten aus New York City. Danach kam die Sucht. Extra Widh, die erste lange Platte aus dem Jahre 1993, wurde rauf- und runtergehört und jeder Schnipsel gelesen. Jon Spencer, den Bandleader, kannte man von Pussy Galore, der Band, die er sich teilte mit seiner Frau Cristina Martinez (mit der er auch bei Boss Hog zusammen spielt). Spencer, Russell Simins, der früher bei den Honeymoon Killers schlagzeugte und inzwischen auch solo als arty HipHopper unterwegs ist, und Judah Bauer fanden sich 1990 in New York zusammen. Ihre High-Energy-Melange aus Rock, Punk, Garage, Hardcore, R&B und Hip Hop wurde mit bluesig-schrägen Gitarrenläufen und Instrumentenpausen an vielen Stellen kombiniert – und eben Jon Spencers tiefer Stimme in Call-&-Response-Manier – und rockte wie „Dogshit“ (wie das Label stolz behauptete).

Was dann kam, war der große Erfolg mit Orange, der Platte, auf der das grandiose „Bellbottoms!“ zu finden ist, das in seiner Struktur als typisches Beispiel für (frühere) Songs der Blues Explosion gelten kann: Am Anfang wird ein Wort geschrien, in diesem Fall „Bellbottoms“, dann kommen Schlagzeugschläge, dann wird nochmal geschrien, dann ertönt ein Kauderwelsch aus Gitarrensolo-Schlagwahn, schließlich folgt eine Auflösung, hier: „Blues Explosion!“ – fertig aus. Und weil sie zu alledem auch noch experimentell war, ließ die Band anschließend ein paar Remixe anfertigen von Freunden insbesondere aus der New Yorker Szene, etwa von Beastie Boys-Mike D., Beck, Moby und Genius/GZA vom Wu-Tang Clan.

Mit dem 1996er Album Now I got worry wandte man sich der sli-cken Ecke des Blues zu und machte vor allem durch die Gastmusiker von sich reden: unter anderen Money Mark und Thermos Malling von Doo Rag; aber auch Rufus Thomas, der Mann, der dem Sun-Label den ersten Rock'n'Roll-Hit („Bear Cat“) bescherte, und nicht zuletzt R. L. Burnside, einem Bluesmann aus Holly Springs, Mississippi, den die Explosion auch gleich mit auf Tour nahm. Wie sich die Band überhaupt verpflichtet zu haben scheint, alten, noch lebenden Legenden die Kasse aufzubessern. Die Band kann sich das leisten, schließlich füllt sie inzwischen große Hallen, und Jon Spencer hängt auch nicht mehr an irgendwelchen Decken, sondern springt eine Spur gemächlicher herum.

Die Platte danach hieß hautkrankheitenähnlich Acme (1999) und riss einen nicht mehr so richtig vom Stuhl. Und in diesem April erscheint nun Plastic Fang, das jüngste Album, produziert von Steve Jordan, der auch schon für olle Haudegen wie die Rolling Stones, Stevie Wonder und Tom Petty an den sprichwörtlichen Reglern saß und die Blues Explosion erwartungsgemäß klingen lässt: halbwegs energisch, aber wenig überraschend. Na ja, Jon Spencer ist ja inzwischen auch Vater und überhaupt – da spielt man halt lieber im New Yorker B.B. Kings Blues Club, wo ein Hamburger 17 Euro kostet, und das sitzende Publikum mit Fingern auf Holz klopft.

Wie gut, dass Jon Spencer noch eine Trumpfkarte im Grünspan dabei hat: die Vorband, The Yeah Yeah Yeahs aus New York, deren gleichnamige EP laut Greil Marcus zu den „Real Life Rock Top 10“ gehört, spielt dreckige Garagenmusik à la Pussy Galore (hey, Jon!) und Blondie und rockt frisch und fröhlich los. Es könnte also doch noch ein sexy Abend werden ...

Montag, 21 Uhr, Grünspan

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