Halbfinale der Handball-WM: Schnell, schneller, Norwegen
Beton gegen Tempospiel: Beim WM-Halbfinale zwischen Deutschland und Norwegen ist ein Kampf der Systeme zu erwarten.
Am Freitagabend (20.30 Uhr/ARD) soll sich die Geschichte aus Sicht des Deutschen Handballbundes (DHB) wiederholen, wenn die Skandinavier erneut auf dem Weg ins Finale ein möglicher Stolperstein sind – eine Überraschung ist es aber längst nicht mehr, dass die Mannschaft von Christian Berge die Medaillenrunde erreicht hat.
Nach dem Einzug ins EM-Halbfinale 2016, das den Norwegern am Ende den vierten Platz bescherte, bestätigten die Schützlinge von Berge ihre Qualität ein Jahr später bei der Weltmeisterschaft in Frankreich, als sie erst im Endspiel vom Gastgeber gestoppt wurden. Für die WM 2013 und 2015 hatten sich die Norweger nicht qualifiziert, nutzten die Zeit des fehlenden Erfolgs aber, um einen Neuaufbau unter Berge zu starten. Der übernahm die Mannschaft 2014 und setzte seine Idee vom Handballspiel konsequent und mit vielen jungen Spielern um.
Dabei profitierte der Trainer nicht zuletzt davon, dass einer der größten Spieler des Handballs einen norwegischen Pass besitzt. Obwohl Sander Sagosen gerade einmal 23 Jahre alt ist, gehört er bereits zu der Riege der Superstars. Der Spielmacher vereint alle Eigenschaften in sich, die man auf seiner Position für die Weltklasse benötigt. Er ist schnell, unheimlich durchsetzungsfähig in direkten Zweikämpfen, hat einen harten und präzisen Wurf und eine glänzende Übersicht – eigentlich ist Sagosen viel zu gut für sein Alter.
Die „Schnelle Mitte“ verfeinert
Zuletzt gab es in Nikola Karabatić, der den Handball seit einer Dekade entscheidend prägt, einen Spieler, der im Alter von 23 Jahren ähnlich komplett war. „Sander hat kein Limit, er kann alles erreichen“, sagt sein früherer Klubtrainer „Noka“ Serdarušić. Es ist zwangsläufig so, dass Sagosen bei Paris Saint Germain spielt, einer Weltauswahl, in der auch Karabatić, Mikkel Hansen (Dänemark) oder der deutsche Linksaußen Uwe Gensheier unter Vertrag stehen.
Es geht aber nicht nur um Sagosen, sondern es wird ein spannender Kampf der Systeme sein, der darüber entscheidet, wer den Sprung ins Finale nach Herning schafft und wer ein paar Stunden davor versuchen muss, zumindest die Bronzemedaille zu sichern. Es geht darum, ob sich das von der eigenen Beton-Abwehr dominierte Spiel der Deutschen durchsetzt, oder das Lauf- und Tempospiel die Oberhand behält, mit der die Norweger die Handball-Welt beeindrucken. „Wenn wir die Gegentore in der ersten, zweiten und dritten Welle verhindern können, haben wir eine gute Chance“, sagt der deutsche Abwehrchef Hendrik Pekeler.
Der Kreisläufer vom THW Kiel hat großen Respekt vor der Geschwindigkeit, mit der die Norweger versuchen, ihre Kontrahenten zu überrennen. Der Plan dabei ist, nach einem Ballgewinn oder einem Gegentreffer so schnell wie möglich vor das gegnerische Tor zu kommen, um die Abwehr zu düpieren, ehe die Zeit hatte, sich zu formieren. Im Grunde haben die Norweger die „Schnelle Mitte“ verfeinert und weiterentwickelt, die 1997 nach einer Regeländerung den Handball revolutioniert hatte. Die Skandinavier nutzen perfekt aus, dass das Spiel sofort fortgesetzt werden kann, sobald der Ball nach einem Tor wieder an der Mittellinie ist.
Das Tempospiel zum Erliegen bringen
„Es gibt keine Mannschaft auf der Welt, die so schnell ins Tempospiel kommt wie die Norweger“, sagt Didier Dinart, der Trainer der französischen Mannschaft. Vor zwei Jahren besiegten die Franzosen im WM-Finale in der eigenen Halle in Paris den Emporkömmling aus dem Norden und machte vor, was Deutschland nun nachmachen will – das Tempospiel der Norweger zum Erliegen bringen.
Es gilt, Ballverluste im Angriff zu vermeiden und – viel wichtiger noch –, sehr aufmerksam im Rückzugsverhalten zu sein. „Wir hatten heute den Plan, viel zu laufen. Während des Matches habe ich die Spieler motiviert, noch mehr zu laufen. Es hat geklappt“, sagte Berge nach dem letzten Hauptrundenmatch gegen Ungarn (35:26) am Mittwoch. Nicht viel anders wird die taktische Ausrichtung gegen die Deutschen sein, um die DHB-Auswahl ihrer größten Stärke zu berauben, der beinahe unüberwindbaren Betonabwehr im Positionsspiel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen