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Haitis steiniger Weg zur Demokratie

Heute erhält Präsident Aristide den Aachener Friedenspreis / Sein Übergangspremier Malval ist bereits auf dem Weg nach Haiti / Die Menschenrechtslage hat sich aber nicht verbessert  ■ Von Bettina Bremme

Berlin (taz) – Der Demokratisierungsprozeß für Haiti kommt endlich in Gang: Robert Malval, Kandidat des demokratisch gewählten, exilierten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide, wurde am Montag in der haitianischen Botschaft in Washington als Premier vereidigt. Gestern wollte er nach Haiti reisen, um dort ein Kabinett zu bilden. Der schwarze US-Bürgerrechtler Jesse Jackson sagte dazu: „Heute riechen wir die Demokratie. Am 30. Oktober sollten wir sie schmecken.“

An diesem Tag soll Aristide, der im September 1991 von der Armee gestürzt worden war, gemäß des Zehn-Punkte-Plans der UNO nach mehr als zweijährigem Exil in sein Land zurückkehren. Der populäre Sozialreformer und Befreiungstheologe, dem heute der alternative Aachener Friedenspreis verliehen wird, wäre dann das erste Staatsoberhaupt in der Geschichte Amerikas, das nach einem Putsch durch Verhandlungen wieder in sein Amt gelangt.

Lange Zeit war die internationale Reaktion auf den blutigen Putsch des Armeechefs Raoul Cedras von einer verbal einstimmigen, faktisch jedoch recht halbherzigen Solidarisierung mit Aristide gekennzeichnet: Ein Handelsembargo der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) funktionierte äußerst lückenhaft und traf in erster Linie die arme Bevölkerung. Das Einfrieren internationaler Kreditprogramme trieb die Inflation in die Höhe und den Staatshaushalt in den Bankrott. Ende März mußte Finanzminister Weiner Fort die faktische Zahlungsunfähigkeit der Regierung zugeben.

Nach einer Einschätzung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission sind seit dem Putsch 1.500 Haitianer umgekommen; 300.000 wurden dazu gezwungen, vor den Militärs unterzutauchen. Immer mehr Menschen versuchten, in klapprigen Booten Richtung USA zu fliehen. US-Präsident Bush reagierte mit einer Seeblockade, die Nachfolger Bill Clinton entgegen eigenen Wahlversprechen fortsetzte.

Die Ausdehnung des internationalen Embargos auf Öl und Waffen am 23. Juni zwang General Cedras schließlich an den Verhandlungstisch, nachdem Vermittlungsbemühungen von UNO und OAS zuvor mehrmals gescheitert waren. Es war vor allem die US- Regierung, die angesichts der wachsenden Flüchtlingszahlen plötzlich auf Sanktionsverschärfung drängte. Ende Juni begannen in New York unter internationaler Vermittlung Verhandlungen zwischen Aristide und Vertretern des Militärregimes. Resultat war der Zehn-Punkte-Plan, der eine stufenweise zu vollziehende Rückkehr Haitis zur Demokratie unter Aufsicht von UNO und OAS vorsieht.

Im Rahmen eines internationalen Hilfspakets will die USA nach der Rückkehr des Präsidenten Unterstützung in Höhe von von 38 Millionen Dollar bereitstellen. Für die geplante Umstrukturierung von Polizei und Armee hat Aristide die UNO um die Entsendung eines Kontingents von insgesamt 1.100 Polizeibeamten und militärischen Fachleuten gebeten; seit Montag berät darüber der UNO- Sicherheitsrat. In der Nacht zum Freitag hob die UNO bereits das Embargo gegen Haiti auf; zwei Tage später lief der erste Öltanker in Port-au-Prince ein.

Skeptische BeobachterInnen wollen dem Demokratisierungsprozeß erst trauen, wenn Aristide tatsächlich auf Haiti eingetroffen ist. Einige meinen, durch die Aufhebung des Embargos sei ein wichtiger Trumpf zu früh aus der Hand gegeben worden: Etliche Parlamentsabgeordnete hatten vergangene Woche bei der Bestätigung Malvals als Premier kein Hehl daraus gemacht, dies nur in Hinblick auf eine Aufhebung des Embargos zu tun. Der Druckereibesitzer Robert Malval, der der haitianischen Oberschicht entstammt, ist auch für Aristide und seine AnhängerInnen ein Kompromißkandidat: Seine Hauptaufgabe besteht darin, einen friedlichen Übergang zu gewährleisten und Aristides Rückkehr abzusichern. Malval gilt politisch als moderat und genießt auch im bürgerlichen Lager Respekt; er hat mehrfach betont, daß er kein Berufspolitiker sei und sich nur als Übergangspremier verstehe. Nach Möglichkeit will er sein Amt bereits am 15. Dezember niederlegen.

Formale Schikanen zeigten bei seiner Bestätigung im Parlament bereits, daß die Mehrzahl der Abgeordneten Malvals Arbeit so weit wie möglich behindern will, um damit die Umsetzung des Zehn- Punkte-Plans zu erschweren. Entsprechend fordern Aristide und Malval, die Sanktionen wieder in Kraft zu setzen, falls sich abzeichnet, daß die Militärs den friedlichen Übergang doch torpedieren.

Dadurch, daß Aristide im Zehn- Punkte-Plan eine Amnestie für die Putschisten abgerungen wurde, bleiben diese als Macht- und Unsicherheitsfaktor weiter präsent. Daran wird auch die vorgesehene Umstrukturierung der Armee nur begrenzt etwas ändern können. Daß die Militärs auf Haiti nicht daran denken, sich aus der Politik zu verabschieden, demonstriert besonders deutlich Junta-Chef Raoul Cedras, der die Gründung einer Partei plant. Seit der Verabschiedung des Plans ist die Zahl der Menschenrechtsverletzungen durch Militärs und Todesschwadronen gestiegen – und dies trotz der Präsenz von mehr als 200 internationalen BeobachterInnen. So wurden am 17. August der Pater Yvon Massac und zwei weitere Personen verhaftet, als sie Fotos von Aristide und Tranparente gegen die Repression an Wände klebten. Die Festnahmen fanden unter den Augen der internationalen BeobachterInnen statt. Deren Anwesenheit war allerdings sicher auch zu verdanken, daß die Festgenommenen kurz danach wieder freigelassen wurden.

Auf Haiti ist die Unterstützung der Bevölkerung für Aristide zur Zeit sehr stark: Laut BeobachterInnen könnte er, wenn zum jetzigen Zeitpunkt gewählt würde, mit einer überwältigenden Stimmenmehrheit rechnen. Die zwei Jahre Amtszeit, die Aristide nach seiner Rückkehr noch bleiben, reichen aber auf keinen Fall, um die Politik zu demokratisieren und die Wirtschaft zu sanieren – von sozialen Umstrukturierungen ganz zu schweigen. Viel wird davon abhängen, ob die versprochene Hilfe aus dem Ausland tatsächlich fließt oder ob der Präsident, dessen soziale Reformbestrebungen vielen ein Dorn im Auge sind, nach Abschluß der formalen Demokratisierung international hängengelassen wird.

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