■ Haiti und Bosnien sind Opfer der US-Interims—Doktrin: Clintons Burgfrieden
Jean-Bertrand Aristide mag dieser Tage darüber grübeln, ob sein Zufluchtsland tatsächlich seine Rückkehr nach Haiti befördern will. Man muß zwar der Clinton-Administration keine bösen Absichten unterstellen. Doch die CIA, die in den letzten Wochen Aristide mit offenbar gefälschten Dokumenten als „mental labil“ denunzierte, steht nun schon seit einigen Monaten unter Leitung eines von Clinton nominierten Direktors. Der, so viel läßt sich mit Sicherheit sagen, hat offensichtlich über seinen Laden so wenig Kontrolle wie der Präsident über sein Außen- und Verteidigungsministerium.
Eines läßt sich nach diesem Wochenende klar feststellen: Das Abkommen von Governor's Island, das die Rückkehr des Priesters und Präsidenten garantieren sollte, ist gescheitert. Die Militärs werden freiwillig nicht zulassen, was sie ohnehin nur unter Androhung einer militärischen Intervention zugelassen hätten: die Rückkehr Aristides. Die Unterschrift des Putschisten Raoul Cedras unter die von der UNO vermittelte Vereinbarung war soviel wert wie das x-te Versprechen eines Radovan Karadžić, in Bosnien einen Waffenstillstand einzuhalten. Wobei anzumerken ist, daß das Abkommen von Governor's Island mit ebenso vielen Unsicherheitsfaktoren und faulen Kompromissen gespickt war wie alles, was man bislang den bosnischen Muslimen zur Unterzeichnung vorgelegt hat. Und der haitianische Premierminister Robert Malval, in Port-au-Prince faktisch unter Hausarrest, mag sich vorkommen wie ein Alija Izetbegović: immer noch das Versprechen der „100prozentigen Unterstützung“ des (nicht mehr ganz) neuen Präsidenten der USA in den Ohren; noch nicht ganz in der Lage, zu begreifen, daß diese nicht kommen wird.
Es dürfte sich rückblickend als eine der Tragödien sowohl der bosnischen Muslime wie auch der Mehrheit der Haitianer herausstellen, daß sie die Rolle der USA so sehr überschätzen und den durchaus gut gemeinten Versprechungen eines Bill Clinton geglaubt haben. Denn allen außenpolitischen Grundsatzreden zum Trotz hat sich in den letzten Monaten in Washington eine Interims-Doktrin herausgebildet, die da lautet: Amerikanische Soldaten sollen im Rahmen von peace keeping-Missionen, humanitären Einsätzen oder militärischer Durchsetzung von UNO-Beschlüssen keinem Risiko ausgesetzt, also gar nicht erst eingesetzt werden. So zumindest lautet der vorläufige Burgfriede zwischen Präsident und dem US-Kongreß. Diesen Burgfrieden wird Clinton um seiner innenpolitischen Reformen willen nicht gefährden. Für die Haitianer gilt deshalb bis auf weiteres, was Graham Green einst nach einem Besuch in ihrem Land schrieb: „Impossible to darken that night.“ Andrea Böhm, Washington
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