■ Antirassistische Strukturen schaffen!: Häßliche Bemerkungen im Dienst
Stellen wir uns vor: die Polizei gibt Gutachten zur Erforschung rassistischer Einstellungen und Verhaltensweisen in ihren Reihen in Auftrag und erstellt Konzepte zur Ausbildung eigener antirassistischer Strukturen. Der Ausbildungsstandard an Polizeischulen wird den Erfordernissen einer multiethnischen Gesellschaft angepaßt, und diensthabenden Polizeibeamten wird die Fortbildung mit Workshops in Sachen Antirassismus und multikulturelles Anti-Streß-Training verordnet. Alle Bundesländer verpflichten sich, verstärkt AusländerInnen in den Polizeidienst zu übernehmen. Gleichzeitig werden antirassistische Verhaltenskodizes für die Polizei entworfen und Verstöße von unabhängigen Schiedsinstanzen geahndet. – Richtig vermutet: einiges von dem mag es sonstwo geben, zum Beispiel in den Niederlanden, in England, in Übersee, aber nicht in Deutschland. Verlassen wir also das multikulturelle Phantasialand und kehren zurück zur tagesrealen Mäßigkeit hiesiger Gefilde.
Deutschen Polizisten ausländerfeindliches Verhalten vorzuwerfen, mag an die gewohnten Anschuldigungen erinnern, denen die Ordnungshüter aus lauter Boshaftigkeit immer wieder gerne ausgesetzt werden – wäre dieser Vorwurf nicht mit einer wachsenden Liste von landesweiten Vorfällen längst belegt: häßliche, erniedrigende Bemerkungen gehören wohl zu den alltäglichsten Diskriminierungen, die AusländerInnen von Uniformierten im Dienst erfahren. Die Liste umfaßt aber auch willkürliche Schikanen, Beschimpfungen und in manchen Fällen Verprügelungen. Noch ist das Ausmaß dieser Erscheinung gar nicht richtig ausgelotet. Viele Fälle bleiben unbekannt, weil die Betroffenen – wer könnte es ihnen verübeln? – für eine Beschwerde keinerlei Erfolgsaussichten sehen. Dennoch mehren sich die Erkenntnisse, wonach Rassismus unter deutschen Polizeibeamten weit verbreitet ist und niemand Geringeres als amnesty international hat sich der Sache inzwischen angenommen. Die Menschenrechtsorganisation erstellt derzeit einen Bericht.
Die Polizei kann nur das Spiegelbild ihrer Gesellschaft sein, und als einzelne sind auch Polizisten nur „Menschen wie du und ich“. Als solche wiederum sind sie für rassistische Hirnströme ebenso empfänglich, vielleicht sogar gefährdeter als der Normalbürger. Es ist eine Frage der Wahrnehmungsperspektive: die Begegnung zwischen Polizisten und AusländerInnen findet fast ausschließlich in den Rollen von verdächtigem Straftäter und Verfolger statt. Das, was tägliche rassistische Diskurse in Gesellschaft und Medien an Zerrbildern, an Kriminalisierungen von AusländerInnen reproduzieren, erfährt seine krönende Bestätigung bei der beruflichen Konfrontation eines Polizisten, zum Beispiel mit „schwindelnden, stehlenden Asylanten“.
Waren die Republikaner während ihre ersten Aufschwungphase nicht damit hausieren gegangen, daß ihre Mitglieder sich zu einem großen Teil aus Polizeibeamten rekrutieren? Vermutlich besteht die „Berufskrankheit“ von Polizisten in einem übersteigerten Verlangen nach Ordnung und Strafe und der Neigung zu eigenmächtigen Disziplinierungen – ein Hang, von dem auch Angehörige anderer sozial diskriminierter Gruppen berichten könnten. Dies alles sollte gesagt werden können, ohne in den Verdacht zu geraten, zum „Freund und Helfer“ der Polizei mutiert zu sein. Die Erklärung sollte nicht als Entschuldigung mißverstanden werden.
In jedem Fall bleibt die dringende Pflicht, über die Bekämpfung rassistischer Tendenzen im Apparat nachzudenken (an Ideen mangelt es, wie die Anfangszeilen beweisen sollten, nicht). Das größte Versäumnis einer antirassistischen Bürgerrechtsbewegung von Deutschen und AusländerInnen besteht wohl darin – abgesehen davon, daß sie sich bisher nicht zu formieren wußte – sich diesseits von umfassenden Multikulti-Utopien zuwenig den realen Gegebenheiten gewidmet zu haben. In der Ausbildung einer konkreten und pragmatischen Anti-Rassismus-Strategie bestünde ein verbindender Ansatz für viele zerstreute Goodwillaktionen. Die wichtigste Aufgabe bestünde zunächst im Sichtbarmachen von institutioneller Diskriminierung von AusländerInnen, wie es sie nicht nur bei der Polizei gibt. Als Ziel hätte sie aber zu fordern, daß Politik und Institutionen bleibende antirassistische Strukturen schaffen. Sadullah Güleç
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