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Haben Sie gedient, Madame? LESERiNNENBRIEFE

betr.: »Wissenwertes für die BerlinerInnen« (Veranstaltungshinweise zu Terminen eines »Lehrgangs zur Schwesternhelferin« des DRK), taz vom 28.8.90

Die Informationen, die über Schwesternhelferinnen- Kurse (nicht nur für BerlinerInnen) wirklich wissenswert sind, blieb die taz ihren LeserInnen schuldig. [...] Die im folgenden von mir wiedergegebenen Informationen beruhen auf Fakten Mitte der achtziger Jahre, die ich damals als Mitglied des Arbeitskreises »Frauen gegen Militär« der DFG-VK in München mit erarbeitet habe. Auch heute hat sich — nachprüfbar — an der zu schildernden Sachlage nichts geändert.

Schwesterhelferinnen-Kurse (SHK) werden seit 1969, ein Jahr nach Verabschiedung der Notstandsgesetze, von den Hilfsorganisationen Deutsches Rotes Kreuz, Malteser Hilfsdienst und Johaniter Unfallhilfe regelmäßig angeboten und stehen mit der Notstandsgesetzgebung in engem Zusammenhang. Artikel 12a Abs.4 Grundgesetz (Notstandsgesetze) lautet: »Kann im Verteidigungsfall der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie ortsfesten militärischen Lazarettorganisationen nicht auf freiwilliger Basis gedeckt werden, so können Frauen vom 18. bis vollendetem 55. Lebensjahr aufgrund eines Gesetzes zu derartigen Leistungen herangezogen werden.«

SHK dienen dazu, schon in »Friedenszeiten« eben diesen Bedarf an »Freiwilligen« auch für den »V-Fall« zu sichern. Das ergibt sich aus der Tatsache, daß Absolventinnen der SHK vor Beginn des Unterrichts eine Erklärung unterschreiben müssen, in der sie sich verpflichten, in öffentlichen Notständen (einschließlich »Verteidigungsfall«) für »eine pflegerische Tätigkeit zur Verfügung zu stehen«. Für Frauen, die sich weigern, diese Unterschrift zu leisten, ist der SHK dann keineswegs mehr so »kostenlos«; sie müssen im Falle ihrer Teilnahme den vollen Satz bezahlen. Männer, die an SHK teilnehmen wollen, zahlen diesen »Preis« (zwischen 450 und ca. 550 DM, beim DRK 200 DM) ohnehin von vorneherein und müssen überdies (jedenfalls beim Malteser Hilfsdienst) Mitglied der Organisation werden. Darüber hinaus werden die Teilnehmerinnen aufgefordert, ihren »Einsatzwunsch in einem etwaigen Bedarfsfall: örtlicher Zivilschutz, überörtlicher Zivilschutz, örtliches Reservelazarett (BW), überörtliches Reservelazarett (BW)« anzugeben.

Der Zusammenhang zwischen SHK und Zivilschutz beziehungsweise militärischer Planung wird noch eindeutiger, wenn man weiß, wer die Kurse bezahlt. Schwesternhelferinnen-Kurse werden zu 30 Prozent aus dem Haushalt des Verteidigungsministeriums und zu 70 Prozent aus dem Zivilverteidigungshaushalt des Innenministeriums finanziert! Vor diesem Hintergrund wird klar, daß Absolventinnen der SHK durch ihre Unterschrift (was angesichts der sonst fälligen Höhe der Kursgebühr an Nötigung grenzt) gezwungen werden, sich in militärische Planungen mit einbeziehen zu lassen und daran — meist unwissentlich — mitzuwirken. Daß schließlich die Daten der Absolventinnen von SHK »wegen Rücksichtnahme auf persönliche Einsatzwünsche« beim Arbeitsamt gespeichert werden, kommt darüber hinaus einer Wehrerfassung von Frauen gleich!

Erfahrungsberichte von ehemaligen Absolventinnen der SHK haben außerdem deutlich gemacht, wie vehement die Hilfsorganisationen daran interessiert sind, daß die »wertvollen Kenntnisse« nicht zum reinen Privatvergnügen erworben werden oder mit der Zeit gar verkümmern. Aufforderungen zur Fort- und Weiterbildung, die dann zum Beispiel auch »Hilfe im Katastrophenfall« und ABC-Schutzübungen mit einschließt, können mitunter recht nachdrücklich erfolgen. Aus eigener Anschauung bei Einführungsveranstaltungen weiß ich, daß die Frauen über die Finanzierung der SHK und ihren wahren Zweck nicht und auf Nachfragen nur mangelhaft informiert werden. [...] Statt dessen wird ihnen das Ideal der helfenden, sich aufopfernden Frau vorgehalten und mit dem Hinweis auf den Erhalt einer »schönen Schwesternuniform« der Dienst schmackhaft gemacht.

Wer dann noch nicht den gewünschten Glanz in den Augen hat, hört das Märchen von den verbesserten Berufsaussichten, die sich der Schwesternhelferin eröffnen sollen. Konkrete Nachfragen zeigen da schnell, daß es sich hier um Wunschdenken beziehungsweise kalkulierte Bäuerinnenfängerei handelt, denn Schwesternhelferinnen-Kurse sind keine Berufsausbildung, und den Nachweis, daß eine Schwesternhelferin, getreu dem Motto: Haben Sie gedient, Madame?, bessere Chancen beim Berufseintritt hat, bleibt man schuldig. Allerdings gehörten SHK (Mitte der achtziger Jahre in München) für Schülerinnen der 12. Klassen an sozialwissenschaftlichen Gymnasien zur Ausbildung oder waren gar, wie an der »Fachoberschule für Sozialpädagogik und Sozialwesen« (FOSS) zwingende Voraussetzung für ein obligatorisches Krankenhauspraktikum, ohne die die Ausbildung an der FOSS nicht beendet werden konnte.

Im übrigen werden SHK ganz offiziell als »sinnvolle Freizeitbeschäftigung für arbeitslose Mädchen« ('Mittelbayerische Zeitung‘, 20.9.84) betrachtet und propagiert.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Kenntnisse in Erster Hilfe und Krankenpflege sind nützlich und »wertvoll«, der Erwerb dieser Kenntnisse darf aber nicht, wie im Falle der SHK, mit einer Verpflichtung zum Kriegsdienst verknüpft werden. [...] Aber angesichts der geschilderten Zusammenhänge für junge Frauen und des diesbezüglich leider besonders »zeitgemäß« erscheinenden Argumentes der »sinnvollen Freizeitbeschäftigung« durch Teilnahme an kriegsvorbereitenden Maßnahmen, halte ich Schwesternhelferinnen-Kurse für eine besonders perfide Einrichtung, für die nicht ohne weiteres und kommentarlos geworben werden sollte. Astrid-Maria Moos-Philip, Berlin-Schöneberg

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