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Archiv-Artikel

HYSTERIE, PATHOS UND UNINFORMIERTHEIT PRÄGEN DIE IMPFDEBATTE Scheinheilige Aufregung um Pockenviren

„Sagt uns endlich, was ihr wisst!“ Solche und zum Glück auch weniger pathetische Schlagzeilen waren in den letzten Tagen zum Thema Pockenschutzimpfung zu lesen. Die ganze Pockenpanik ist eine Festveranstaltung der Scheinheiligen: Weil irgendein Beamter im zuständigen Bundesamt voreilig Alarm schlug und sein Brandbrief an eine Zeitung gelangte, schrie die Opposition Zeter und Mordio. Der Bundeskanzler verstoße gegen seinen Amtseid – nämlich Gefährdung von der Bevölkerung abzuwenden –, hieß es. Die CDU hat für heute sogar eine aktuelle Stunde im Bundestag beantragt, und FDP-Chef Westerwelle plapperte etwas von Geheimdiensthinweisen.

Haben die denn nichts Besseres zu tun? Die Bundesregierung steht vor einem Haushalt in Schieflage und vor einem gewaltigen Reformbedarf, den zu decken ihr aber die Lösungen fehlen. Doch die Opposition verzettelt sich auf – im wahrsten Sinne des Wortes – Nebenkriegsschauplätzen. Zur Erinnerung: Fachleute wissen nicht einmal, ob sich die recht wenig ansteckenden Pockenviren überhaupt für die biologische Kriegsführung eignen. Geschweige denn, ob der Irak oder irgendein anderer so genannter Schurkenstaat samt mutmaßlich angegliederten Terroristen jemals über Pocken- oder vergleichbare Erreger verfügte.

Die Pockenhysterie kommt aus den USA, wo die Bush-Administration bis zu elf Millionen Menschen impfen lassen will. Die Bundesregierung hat die Anschaffung von 100 Millionen Impfdosen beschlossen – für den Fall, dass doch eine Pocken-Epidemie auftritt. Das Geld hätten sich beide Regierungen sparen können: Es gibt diverse Erreger, die wesentlich besser für terroristische Zwecke geeignet sind als Pocken. Und gegen die wird nicht geimpft.

In den USA haben sich renommierte Krankenhäuser geweigert, an den Pockenimpfungen teilzunehmen. Ihre Begründung: Eine solche Kampagne sei pervers, wo doch in den Industrieländern jedes Jahr zehntausende an fehlenden Schutzimpfungen gegen Grippe stürben. Da haben sie Recht – das gilt auch für Deutschland. REINER METZGER