HYSTERIE IM FALL KAPLAN: AUS SIMPLER FAHNDUNGSPANNE WIRD SKANDAL : Noch hat der Rechtsstaat nicht versagt
Als die Polizei kam, war der Gesuchte weg. So etwas ist für die Gesetzeshüter zwar unangenehm, aber alltäglich. Doch diesmal ging es um Metin Kaplan, und der ist kein Eierdieb, sondern ein prominenter Hassprediger. Ein unangenehmer Zeitgenosse, den man zu Recht schnell loswerden möchte. Und schon wird eine simple Fahndungspanne zum politischen Skandal. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) schäumt, Günther Beckstein (CSU) hämt, und Peter Hintze (CDU) nutzt den Anlass gar, um die verfassungsrechtlich bedenkliche Sicherheitshaft zu fordern. NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD) hat am meisten zu verlieren – und bleibt trotzdem vernünftig: Seine Polizei konnte nicht anders handeln, als sie es tat, sagt er.
Die Forderungen nach einer schärferen Kriminalitäts-, nein: Terrorbekämpfung hingegen sind so erwartbar wie unredlich. Die Polizei sei hilflos und der Rechtsstaat habe versagt, heißt es quer durch alle Parteien. Je nach politischer Couleur ist die föderale (Sicherheits-)Struktur der Bundesrepublik schuld, die angeblich eine rasche Zusammenführung aller Erkenntnisse und Reaktionen verhindert. Oder es liegt daran, dass den Sicherheitskräften zu wenig Personal zur Verfügung steht.
Doch was ist wirklich geschehen? Ein zur Abschiebung Vorgesehener, der bislang alle behördlichen Auflagen erfüllt hat, ist zum Zeitpunkt seiner geplanten Ingewahrsamnahme nicht daheim. Das musste er auch nicht. Laut seiner Anwältin befindet sich der Gesuchte in Köln und wird nächsten Dienstag seine Meldeauflagen erfüllen. Mit seinem Ausflug hat Kaplan sich dem Verdacht der Fluchtgefahr ausgesetzt – und die Behörden müssen eine peinliche Scharte auswetzen.
Versagt hat der Rechtsstaat aber erst dann, wenn er sich durch die Eskapaden des Kalifen zu weiteren Gesetzesverschärfungen, insbesondere im Ausländerrecht, provozieren lässt. Offenbar spielt Kaplan ein bewusstes Spiel mit den deutschen Behörden und Gesetzen. Mit ihrer hysterischen Reaktion lässt sich die Politik auf dieses Spiel ein. Gefragt sind also weder Ministerrücktritte noch neue Gesetze – sondern Vernunft und Gelassenheit.
OTTO DIEDERICHS