HUMAN RIGHTS WATCH OUTET US-JOBWUNDER ALS MOGELPACKUNG: Kein Vorbild für niemand
„Jobwunder“, „anhaltender Wirtschaftsboom“ – beinahe ehrfürchtig zitieren hiesige Politiker und Medien immer wieder die ökonomische Entwicklung in den USA als Vorbild. Selbst Gewerkschafter vergessen angesichts von 20 Millionen neu geschaffenen Arbeitsplätzen oftmals, nach dem Preis für die – fast erreichte – Vollbeschäftigung zu fragen. Der besteht eben nicht nur in der schon länger bekannten Tatsache, dass ein erheblicher Teil der neuen Jobs im unteren Lohnsektor angesiedelte Teilzeitbeschäftigungen ohne längerfristige Absicherung und gewerkschaftliche Rechte sind. Auch Besitzer von Stellen in Boombranchen mit derzeit hohen Löhnen können also schon morgen wieder mittel- und rechtlos auf der Straße stehen.
Unter der Glitzerebene des Wirtschaftswunders ist der arbeits-und sozialrechtliche Unterbau so morsch und ausgehöhlt, dass sich die USA weder als Vorbild für Europa noch für irgendeine andere Weltregion anbieten. Das zeigt der Bericht von Human Rights Watch. Es wäre zu wünschen, dass europäische Politiker und Diplomaten diesen Bericht aufmerksam lesen und ihn mitnehmen zu den kommenden Beratungen der Welthandelsorganisation WTO. Wenn dort die Vertreter Washingtons – wie so oft – in hehrer Arroganz die Arbeits-und Sozialbedingungen in den armen Ländern des Südens anprangern, sollte ihnen das HRW-Papier vorgehalten werden.
Es geht nicht darum, die Forderung nach Realisierung wirtschaftlicher und sozialer Menschenrechte von der globalen Tagesordnung zu wischen. Nur diente diese Forderung bei den bisherigen WTO-Verhandlungen vor allem taktischen Kalkülen Washingtons zur Durchsetzung ganz anderer Interessen. Es geht um mehr Ehrlichkeit in der Debatte. Wenn allgemein akzeptierter Ausgangspunkt künftiger Verhandlungen wäre, dass in den USA – insbesonders gemessen an ihrem großen Reichtum – völkerrechtlich verbindliche Gewerkschafts-, Arbeits- und Sozialrechte in weiten Teilen der Wirtschaft kaum besser verwirklicht und garantiert sind als etwa im weit ärmeren Indien, dann wüchse die Chance, der Realisierung dieser Rechte für alle BewohnerInnen dieser Erde tatsächlich etwas näher zu kommen. ANDREAS ZUMACH
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