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Archiv-Artikel

HOCHWASSERSCHUTZ DARF NICHT EINZELINTERESSEN GEOPFERT WERDEN Den Schaden zahlen wir

Beim Hochwasser von Ruhr und Henne 1890 stand das Wasser in Menschede anderthalb Meter hoch. 1905 wurde deshalb eine Talsperre gebaut. Aber zwanzig Jahre später lief der Damm über und flutete die Stadt erneut. 1932 rissen die Wassermassen Brücken mit, 1946 fraßen sich die Fluten in die Trümmer der kriegszerstörten Stadt.

Kalter Kaffee? Nicht für Hans-Peter Kemper. Der ist Landesgruppenchef der SPD-Bundestagsabgeordneten aus Nordrhein-Westfahlen. Und als solcher interessiert er sich quasi hauptberuflich für den Schutz vor Hochwasser. Das ist ein Problem für Nordrhein-Westfahlen: Kemper kommt nicht aus Meschede. Sondern aus Borkum an der Aa. Und dort kann sich niemand an so etwas wie über das Ufer tretendes Wasser erinnern. Dafür aber an den Segen der hier extensiv betriebenen Landwirtschaft. Wegen dieser Kombination ist das Hochwasser-Schutzgesetz – einst vom rot-grüne Kabinett auf den Weg gebracht – jetzt von Abgeordneten um Hans-Peter Kemper gestoppt worden. Dabei geht es um die so genannten HQ-100 Schutzgebiete – also jene Flächen, die statistisch gesehen in 100 Jahren einmal überflutet werden. Das rot-grüne Gesetz weist diese als Stauraum aus, in dem kein Ackerbau betrieben werden darf.

Hans-Peter Kemper kontert den Entwurf mit dem hohen Lied der Bauernlobby: Nicht zustimmungsfähig sei der Entwurf Trittins, der einer Enteignung der Landwirte gleichkäme. Herr Kemper, wo ist das Problem? In Zeiten von Stillegungsprämien sind für die deutschen Landwirte einige Hektar weniger eher ein Gewinn, als ein Verlust. In Zeiten der EU-Agrarreform bringen ein paar Tonnen Mais weniger als eingehaltene Umweltstandards. Und schließlich: Weiden dürfen Kühe weiter dort, denn anders als Mais verspricht Gras aktiven Hochwasserschutz.

Seit 1993 gab es in Deutschland acht große Hochwasserereignisse mit jeweils mehr als 100 Millionen Euro Schaden. Zweifel an der Notwendigkeit eines neuen Umgangs mit den Flüssen im Allgemeinen und an diesem Hochwasserschutzgesetz im Speziellen verbieten sich angesichts dieser Zahlen. Obwohl das vom Kabinett abgesegnete Gesetz an sich schon ein Kompromiss ist, taugt es doch zu mehr Schutz vor Hochwasserschäden für die Volkswirtschaft. Wer ihn zugunsten von Partikularinteressen seiner Wählerklientel aufzuweichen gedenkt, muss gleichzeitig den Steuerzahlern sagen: Künftige Schäden müsst ihr berappen.

Das wollen sie nicht, Herr Kemper? Dann haben sie zwei Möglichkeiten: Entweder sie hören auf Exbundeskanzler Helmut Kohl. Der hatte nach der Oderflut gemahnt: „Die Flüsse brauchen Raum.“ Oder sie ziehen nach Meschede um. NICK REIMER