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HINTER DIE „ISLAMISCHE CHARTA“ FÜHRT KEIN WEG ZURÜCKSelbstverständliches für Muslime

Eine „Islamische Charta“, in der fromme Muslime ihre Beziehung zu Staat und Gesellschaft festlegen, ist genau das, was Deutschland bislang gefehlt hat. Denn die Liste der strittigen Themen zwischen ihnen und der säkulareren Mehrheitsgesellschaft ist lang: das Verhältnis von Mann und Frau, die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte, das Verhältnis zu Demokratie, Pluralismus und Religionsfreiheit – das sind nur die wichtigsten unter vielen Punkten.

Mit der Islamischen Charta liegen die Positionen auf den Tisch, für jedermann nachles- und damit öffentlich verhandelbar. Da stört es wenig, dass hinter der Charta mit dem Zentralrat der Muslime bislang nur ein Dachverband steht, der weniger als zehn Prozent der organisierten und weniger als ein Prozent aller Muslime in Deutschland repräsentiert. Andere Dachorganisationen können sich nun dieser Charta anschließen oder laut und vernehmlich ihren Einspruch oder Dissens formulieren. In jedem Fall wird die Charta mit dazu beitragen, das Verhältnis frommer, dem Koran verpflichteter Muslime zu den Fundamenten unseres Staates transparenter zu gestalten.

Natürlich werden all jene, denen Religiosität nichts oder wenig bedeutet, in der Charta vieles finden, woran sich ihre säkulare Seele reibt. Aber das würde ihnen auch nicht viel anders ergehen, unterzögen sie sich einmal der Mühe, Positionspapiere der katholischen oder evangelischen Kirche zu dem Verhältnis von Gläubigen zur sie umgebenden Gesellschaft zu studieren.

Die Islamische Charta ist allerdings nicht nur ein Schriftsatz, mit dem Muslime ihre Loyalität zum deutschen Rechtsstaat erklären. Sie ist gleichzeitig ein Dokument, wie weit der Weg zur rechtlichen Gleichstellung für den Islam in Deutschland noch ist, wie weit die Politik der Anerkennung noch hinter der Realität herhinkt: Einrichtung muslimischer Friedhöfe, islamischer Religionsunterricht, Genehmigungsverfahren zum Bau von Moscheen – was für Juden und Christen selbstverständlich, ist für Muslime hierzulande noch lange nicht billig. EBERHARD SEIDEL

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