HINGEHEN UND STAUNEN: "Wie eine Vase im Museum"
Opern-Regisseur Peter Konwitschny erteilt am Montagabend im Bremer Schauspielhaus eine Lektion über lebendiges und totes Theater
taz: Herr Konwitschny, sehen Sie sich selbst als Vorbild für lebendiges Theater?
Peter Konwitschny: Ja.
Sie sind vor allem durch Opern-Inszenierungen bekannt …
ist in Frankfurt am Main geboren und in Leipzig aufgewachsen, wo sein Vater Gewandhaus-Kapellmeister war. Seine Regie-Karriere beginnt in der DDR der 1970er-Jahre: Am Berliner Ensemble arbeitet er vor allem als Assistent von Ruth Berghaus. Als epochal gelten seine Inszenierungen von Händel-Opern Mitte der 1980er Jahre in Halle a.d. Saale, die ihm 1988 den Staatspreis der DDR eintragen, sensationell auch die Stuttgarter Götterdämmerung im Jahr 2000, die "Oper des Jahres" wird.
Am konsequentesten verfolgen konnte er seine Musiktheatervorstellung iin der Zusammenarbeit mit Ingo Metzmacher in Hamburg von 2001 bis 2004. Seine schönste Arbeit aus dieser Zeit ist indes an der Staatsoper Hannover entstanden: Luigi Nonos Revolutionsoper "Al Gran Sole Carico d'Amore" hat Maßstäbe gesetzt. Auch sie wurde zur "Oper des Jahres" gewählt.
Aber was ich beispielhaft zum Musiktheater sage, gilt auch für das Sprechtheater.
Das kann man übertragen?
Sicher. Die Frage ist, ob ein Regisseur es versteht, uns einen älteren Gegenstand in der Botschaft wieder nahezubringen. Es geht darum, dass eine Inszenierung sich nicht in Schnick-Schnack, nettem Design oder schönen Tönchen erschöpft. Ein Stück muss mit dem Leben derer angefüllt sein, die es machen.
Ein Stoff muss immer auch ins Jetzt transportiert werden?
Ja. Das macht auch jeder Leser eines Romans. Irgendwann muss er spüren, was das mit ihm zu tun hat.
Wenn man Shakespeare klassisch inszeniert - ist das tot?
Ja. Ganz eindeutig. Das ist wie eine Vase im Museum. Das ist tot …
… und in dieser Form auch nicht wiederzubeleben?
Nein.
Haben es zeitgenössische Opern da leichter?
Mich interessieren mehr die alten Stücke. Da gibt es eine Rezeptionsgeschichte. Die ist in 90 Prozent der Fälle eine Entstellung der eigentlichen Absichten des Stückes. Das kommt von der bürgerlichen Zeit, durch die es hindurchgegangen ist, etwa bei "Fidelio" oder dem "Freischütz". Wenn man wieder auf das Stück selbst zugeht, kommt der wunderbare Effekt, dass man es nicht wiedererkennt.
Der erschließt sich aber nur jenen, die auch andere Inszenierungen kennen.
Ein Stück weit schon, wie bei Romanen oder Gedichten auch. Aber es ist nicht Voraussetzung. Es können auch Leute, die das Stück zum ersten Mal sehen, ihre Freude daran haben. Aber die Leute müssten eigentlich Anfangsproben sehen. Und: Man muss an die Erfahrungswelt der jungen Menschen anknüpfen, auch in der Sprache.
Was halten Sie vom gegenwärtigen Bremer Theater?
Dazu kann ich nichts sagen. Ich war 1994 zuletzt da - und seitdem nie wieder. Ich bin überall und nirgends.
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