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H.G.HolleinFehlinvestition

Die Frau, mit der ich lebe, hat eine Freundin, die gelegentlich Gesellschaft sucht. Und zwar repräsentable. Deshalb dachte S. vergangenen Freitag wohl auch an mich und die Gefährtin. Letztere war ob der fortgeschrittenen Abendstunde allerdings schon im Negligé, also rückte ich allein aus. S. war aus Berlin zur Weihnachtsfeier ihres Arbeitgebers angereist, einer aufstrebenden Tageszeitung mit deutlichem Hang zum Jung-Dynamischen. Vor Ort verrieten mir denn abschätzende Blicke auch gleich, dass ich bestenfalls noch als der Papa durchging, der gekommen war, seine Tochter von der Schulfeier heimzuholen. Da S. in ihrer wählerischen Art der eine Raum zu stickig und der andere zu laut war, nutzte ich die Gelegenheit und schlug den Umzug in eine nahegelegene Cocktailbar vor. Dem war S. durchaus nicht abgeneigt. Zwar wies sie beiläufig darauf hin, dass sie „heute“ leider noch nicht am Geldautomaten gewesen sei, aber da ich S. schon etwas länger kenne, war ich selbstverständlich pekuniär gewappnet, und so genoss ich bald darauf am Tresen souverän die neidischen Blick meiner männlichen Nachbarn. Die Bedienung reagierte willig auf mein weltmännisches Winken, die Konversation sprang munter bald hierhin, bald dahin, und ich begann, mählich darüber nachzusinnen, ob die Gefährtin die Nacht nicht auch einmal allein herumbringen könnte. Nachdem der letzte Tropfen geschlürft war, pfiff ich auf der Straße nonchalant ein Taxi herbei, und ab ging's zum Hotel von S. Dort hub ich gerade an, ein wohlbemessenes Trinkgeld für den Fahrer abzuzählen, als mich von rechts die Worte ereilten: „War nett, Süßer, mach's gut. Bussi.“ Es fordert das Ego schon ziemlich, wenn man in solchen Momenten dann auch noch sagen muss: „Nach Bahrenfeld, bitte.“

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