■ H.G. Hollein: Polyglott
Das Büro, in dem ich täglich sitze, ist offenbar der Nabel der Welt. So steht's jedenfalls im „Burghagen“, dem „Fachwörterbuch der Bürobegriffe“. Schrieb doch schon Herbert F. W. Schramm in der Neuausgabe von 1964: „Wohl keine Fachrichtung der Wirtschaft steht mit dem Ausland in engerer Verbindung als die Bürobranche und das Büro.“ Bei näherer Lektüre zeigt sich allerdings, dass die Kollegen und Kolleginnen jenseits der Grenzen offenbar ein erheblich poetischeres Schreibtischdasein führen als unsereins. Was ist schließlich ein banaler Ablegekorb gegen eine „canastilla para correspondenca“? Und auch der biederste Geschäftsmann nimmt sich als „homme d'affaires“ doch gleich ganz anders aus. Die Loseblatt-Buchführung wirkt dagegen in der Übersetzung als „loose leaf bookkeeping“ eher einfallslos. Da ziehe ich die „teneduria de libros sobre hojas sueltas“ allemal vor. Und was schwingt nicht alles mit, wenn der Franzose seine Typenhebelzugstange als „la barre de traction de la tige à caracères“ besingt? Oder der Spanier seine Anschlagstärke markig als „fuerza de golpe“ preist? Dass der Chef ein „patron“ ist, läßt immerhin doch auf gewisse Gemeinsamkeiten in der internationalen Bürogemeinde schließen. Das eine oder andere Bürofachwort birgt allerdings auch die Gefahr des Mißverständnisses. Wenn ich einen deutschen Barausgang benutze, habe ich zwar des öfteren auch nichts mehr im Portemonnaie, die Verknüpfung zum „cash disbursement“ will sich dem vernebelten Hirn aber trotzdem nicht auf Anhieb einstellen. Näher liegt da schon die spanische Lesart von Unkosten. Wer schon einmal auswärtige Firmenbesucher zu Tisch geführt hat, kann sich auf „depensos gastos“ ohne weiteres den richtigen Reim machen.
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