■ H.G. Hollein: Vogelkunde
Die Frau, mit der ich lebe, liegt in Lauerstellung. Als Vogelbeobachterin. Frönt doch seit einigen Tagen im Baum vor unserem Schlafzimmerfenster ein junger Amselmann seinen sportlichen Gelüsten. Mit spitzer Nase verfolgt die Gefährtin, wie er auf Höhe des dritten Stockes mit schier unerschöpflicher Ausdauer immer wieder an die Spitze eines dünnen Astes hüpft, fröhlich quiekend auf und ab schwingt, bis der Ast nachgibt, und ab geht's im Sturzflug nach unten. „Ob der gestört ist?“ mutmaßte die Gefährtin besorgt, ließ sich aber mit der Erklärung beruhigen, dass es sich hier lediglich um die Amsel-Variante einer fröhlichen Arschbombe vom Zehner handelt. Die Alternative – dass ausgerechnet unter den Augen der Gefährtin ein junger, des Nesthockens überdrüssiger Vater einen drauf macht, und das Zwitschern nichts anderes heißt als „Alle freien Mädels zu mir, die Alte muss brüten!“ habe ich der Gefährtin wohlweislich vorenthalten. Schließlich nimmt sie so was schnell persönlich. Ich denke da an die skeptischen Blicke einer Taubenmutter, die offenbar unseren rückwärtigen Balkon als mögliches Habitat für die zukünftigen Ihren ins Auge fasste, dann aber befand, dass Bierkästen und leere Weinflaschen nicht gerade die passende Umgebung für ihre Kleinen sind. Die Gefährtin war ob dieser kritischen Haltung ein wenig gekränkt. Wie ich finde, nicht ganz zu unrecht. Tun sich doch die Artgenossen der pikierten Mutter im Sommer an den angegorenen Früchten des Kirschbaums vor dem Balkon derart ungehemmt gütlich, bis sich schließlich ein Chor selig alkoholisiert rülpsender Täuberiche nur noch torkelnd durchs Geäst bewegt. Die Gefährtin findet derart vatertagsähnliche Entgleisungen natürlich degoutant. Da harrt sie lieber erwartungsvoll des Auftritts ihres Amselmännchens. Soll sie. Was mich allerdings leicht irritiert, ist der Umstand, dass die Gefährtin morgens nicht mehr aus dem Bett steigt, sondern mit einem trillernden Pfiff und federnden Knien von der Bettkante springt.
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