HERBERT GRÖNEMEYER IST DER KÖNIG DES MITTELMASSES. UND EINE GALIONSFIGUR, WENN ES DARUM GEHT, AN DEUTSCHLAND STOLZ ZU ZWEIFELN : Im engen Reich der neuen Mitte
SONJA VOGEL
Da, wo ich aufgewachsen bin, in einer mittelgroßen hessischen Stadt, war Mittelmäßigkeit King. Das sogenannte gesunde Mittelmaß. Man sollte nicht zu gut sein in der Schule, auch nicht zu schlecht, vor allem aber nicht auffallen. Es war nicht einfach, den Balanceakt zu vollbringen und die, die es schafften, das waren fast ausschließlich deutsche Mittelschichtskinder.
An dieses enge Reich der Mitte fühle ich mich zurzeit jeden Morgen erinnert. Im Radio nämlich dudelt Herbert Grönemeyers neues Album „Dauernd Jetzt“ rauf und runter. Wahrscheinlich liegt es an der heiseren Stimme, am wohligen Grummeln von ganz tief Innen, eben aus der Mitte der Gemeinschaft. Ich schaffe es einfach nicht, dem „einzigen deutschen Soulsänger, Seelensänger“ (Spiegel) per Knopfdruck die Gurgel abzudrehen. Wahrscheinlich nannte der Rolling Stone Grönemeyer deshalb den „deutschesten Musiker überhaupt“. Denn im Zweifel können alle etwas mit ihm anfangen: Schon zwischen den Beatles und Drafi Deutscher wäre Platz für Herbert gewesen. Und: „Der Mensch heißt Mensch / weil er lacht / Und weil er lebt“, mal ehrlich, wer kann diese Zeilen nicht verstehen? Wenigstens irgendwie? Na also.
Genauso wie die hessischen Mittelstandskinder von damals hat sich Grönemeyer längst aus Bochum verabschiedet und umkreist sein neues Revier: Deutschland. Einer seiner neuen Songs heißt „Unser Land“, eine verstockte Hymne an die deutsche Heimat in der Art: Liebe auf den zweiten Blick. Schon 2001 hatte Grönemeyer bei den Berliner Lektionen eine große – nennen wir sie: programmatische – Rede gehalten. Das Thema: „Heimat im Land der Mitte“. Ausgerechnet. Und er redete und redete, tapsig, ungelenk, etwas gefühlsduselig, reißt mit dem Hintern ein, was er gerade mit mühsamen Metaphern aufgebaut hat. Es lohnt sich, die Mitschrift zu lesen, mit all den abgebrochenen Sätzen und Themen von Provinz bis Weltherrschaft, sie ist die wortgewordene Überforderung von den deutschen Zuständen nach 1989. Eigentlich grundsympathisch, weil so überambitioniert. Und auf halbem Weg stecken geblieben. Sehr deutsch.
„Wir müssen begreifen lernen, dass es Deutschland noch gar nicht gibt“, sagte er damals. „Und bisher hat noch niemand den Beweis geführt, dass Deutschland als Land existiert. Wir sind nicht wieder wer.“ Er meinte das natürlich nicht so wie Xavier Naidoo, der andere Soulsänger und gern gesehener Gast der Reichsbürger, die die Illegalität der Bundesrepublik propagieren. Stattdessen steckte dahinter der Grönemeyer’sche Zweifel, ob es Deutschland nach 1945 vergönnt sein kann, überhaupt zu sein (und wenn: dann nur mittelmäßig).
Freitag
Meike Laaff
Nullen und Einsen
Montag
Josef Winkler
Wortklauberei
Dienstag
Jacinta Nandi
Die gute Ausländerin
Mittwoch
Matthias Lohre
Konservativ
Donnerstag
Margarete Stokowski
Luft und Liebe
Grönemeyers Fans jedenfalls sind diese Mittelstandskinder. Jene Leute, die sich schwarz-rot-goldene Überzieher auf die Rückspiegel setzen, damit ihre Mittelschichtskarren nicht frieren, denen eine Fahne auf dem Balkon aber zu prollig wäre. Es sind die Zweifelnden, Reflektierten, die es aber nicht komplex haben wollen. Ausgerechnet für deren (und „unsere“) Nation ist der zweifelnd-stolze Herbert die Galionsfigur. Ein hartes Los. Er erträgt es gern.