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Archiv-Artikel

HAUSHALTSDEBATTE: DER PESSIMISMUS HAT SEINE SCHULDIGKEIT GETAN Die Regierung lacht wieder

Zugegeben: Fühlt sich doch auch gut an, dass Deutschland jetzt wieder ein Wirtschaftsstar ist. Die großen Zeitungen sind mit ihren Serien zu „Patient Deutschland“ fertig. Die neuen Serien heißen jetzt „Vorsprung Deutschland“. Auch die SPD findet Deutschland jeden Tag besser. Die Haushaltsdebatten im Bundestag waren geprägt davon, dass Kanzler und Wirtschaftsminister Exportüberschüsse, Riesengewinne der Unternehmen und Standortmedaillen aller Art präsentierten und die Union anraunzten, sie solle bitte endlich aufhören, zu jammern. Dies aber liegt nicht daran, dass der Regierung plötzlich ganz neue Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung vorlägen. Vielmehr ist die Regierung jetzt mit der Agenda 2010 fertig. Jetzt ist Wahlkampf, also Optimismus angesagt.

Mit derselben Inbrunst, mit der die Sozialdemokraten bis zur Mitte des Jahres vor dem Abstieg Deutschlands gewarnt haben, wenn nicht sofort alle bei Hartz IV mitmachen würden, beschwören sie nun den Aufschwung. Grandiose Exportüberschüsse waren kein Thema, als Gesundheits- und Arbeitsmarktreform begründet werden mussten. Nun sind sie in aller Minister Munde. So liefert auch die SPD einen schönen Beweis dafür, dass Wirtschaft psychologisch funktioniert: Erfolgs- wie Misserfolgsmeldungen lassen sich beliebig zur Stimmungsmache verwenden.

Praktischerweise ergänzt sich hier das Regierungsinteresse, an der Sozialfront Ruhe einkehren zu lassen, mit dem neuen Thema „Werte“: Wer die wirtschaftliche Lage Deutschlands jetzt noch mies findet, ist kein Patriot, sondern ein Übelwoller. Schlechtreden wird ab jetzt nur noch geduldet, wo es der Umsetzung der beschlossenen Sozialgesetze dient, die nämlich auch patriotisch sind. Im Sommer noch sah so aus, als wenn die SPD mit dem einzigen Abgrenzungsmerkmal „Mit den anderen kommt’s noch schlimmer“ in den Wahlkampf ziehen müsste. Nun hat sie entdeckt, dass es viel mehr Spaß macht zu sagen: „Mit uns ist’s jetzt schon viel besser.“

Wirtschafts- und Werte-Optimismus aber lösen nicht die Probleme, die leider auch nach dem sozialdemokratischen Stimmungswechsel bleiben: Wie überzeugt man zum Beispiel die Unternehmen davon, Unternehmenssteuern zu bezahlen? Zumal, wenn man selbst die Gesetze dafür gemacht hat, mit denen die Kapitalgesellschaften sich davon befreien können? Oder: Wie kann ich die Gesellschaft am unendlichen Reichtum teilhaben lassen, den dieselben Unternehmen ihren Aktionären ausschütten? Keine Antwort darauf in den tagelangen Haushaltsdebatten. Selbstverständlich aber freuen wir uns alle mit, wenn die Regierung wieder lacht. ULRIKE WINKELMANN