HAUPTSTADT GANZ NACKT: Seid lieb zueinander
■ Montagsexperten kommen zu Wort
Gestern lagen gleich zwei Werbeprospekte in meinem Briefkasten. Nummer eins kam von einer Bausparkasse: »Achtung Mieter — Machen Sie Ihren Traum wahr« stand auf dem Deckblatt, und los ging es im Innenstil mit Komfort- und Rustikal-Landhäusern, 143 qm, 6 Zimmer, Küche, 2 Bäder für 117.850 DM ab Oberkante Keller, außerdem eine Kleinfamilie, die schon darin wohnt und beichtet, wie es dazu hat kommen können: »Wir waren ja zuerst doch ein bißchen skeptisch. Aber der Mann von der Bausparkasse hat es uns noch einmal vorgerechnet... Naja, und da haben wir gesehen, wir können es wirklich schaffen. Auch als Normalverdiener. Tja, und jetzt wohnen wir bereits im eigenen Haus.« Noch lächeln sie, Vater, Mutter, Kind, die Zähne gut geputzt, blitzen in der Sonne, jeden morgen wird es Rama- Frühstück geben, für das Kind Rotkäppchen, jeden Abend kommt zuerst das Sandmännchen, dann die Tagesschau, immer unter dem Dach von Ausbauhaus Nr. 6. Irgendwann, kurz nachdem die letzte Rate auf das Haus abbezahlt ist, winkt die Grube, wollen Radieschen von unten betrachtet werden.
Mein Prospektverteiler muß einen Sinn für solche letalen Verstrickungen durch das kleine Glück hindurch haben, vielleicht auch nur Mitleid mit der Familie im Prospekt oder einfach ein Gespür für die Zusammenhänge — der von ihm mitverteilte Werbeprospekt Nummer zwei ist der Handzettel eines Beerdigungsinstituts mit angeschlossenem Sargdiscount, alle Pietätsartikel vorrätig. Sachlich und nüchtern, schlicht und ergreifend, schwarz auf weiß wird dort die Rechnung aufgemacht für das letzte aller Eigenheime, das Saldo aller Bausparkassenverträge: 1.207,67 DM kostet es in Kiefer, 2.046,67 in Eiche, was will man da noch vertäfeln. In den Kosten sind enthalten: Sarg, Decke/Kissen, Hemd, Porto/ Telefon, Einbettung, einmalige Überführungskosten, Formalitäten, Desinfektion — verlassen sie die Welt, wie sie sie vorgefunden haben, besenrein.
Weil an dieser Stelle immer soviel genörgelt wird, heute also ein ganz dickes Lob an meinen Prospektverteiler für die Eigenheim-Friedhof- Kombination: das war wirklich ein großer Wurf, das war Spitze, das war geistreich, das war kreativ. Kurz: Das ist Berlin, wie es Lutz Grüttke, künftiger Geschäftsführer der Berliner Olympia GmbH haben will.
Wer Lutz Grüttke noch nicht kennt: das ist der Mann, der die Stadt PR-mäßig auf Vordermann bringen soll für Olympia 2000. 400.000 Mark bekommt er dafür im Jahr.
Mit einem »Feldzug der Sympathie«, angeführt von dem Slogan »Berlin is best«, will er, der sich der Presse nicht als gelernter Journalist, nicht als Kommunikationsmann, nicht als Sportler vorstellte, sondern als alles zusammen, halt als Grüttke über Grüttke gibt Grüttke, die Stadt aus den negativen Schlagzeilen herausbringen. Dabei müssen »selbstverständlich alle Berliner mitziehen«. Da hat er aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn nicht alle Berliner sind wie mein Prospektverteiler, geistreich und kreativ, sondern hauptsächlich geistlos und einfallsarm, was allemal bedeutet: vorurteilsbeladen und fremdenfeindlich.
Das aber, weiß Grüttke, schadet dem Image und ist »absolut nicht akzeptabel«. Recht hat er. Schließlich dürften die meisten Sportler, die 2000 nach Berlin kommen sollen, in erster Linie Ausländer sein. Da macht sich die Faust auf dem Auge eines schwarzen Sprinters, der am nächsten Tag Weltrekord laufen soll, schlecht. Und wenn jede arabisch aussehende Mannschaft von den Einheimischen mit einem begeisterten »Türken raus!« empfangen wird, steht ernsthaft Berlins Ruf auf dem Spiel.
Was tun? »Ordnungspolitische Vorleistungen der Politiker« — verlangt Grüttke. Aber, wie sollen die aussehen? Läßt er die Vorurteile verbieten? Rassisten einsperren? Ein Gesetz erlassen, daß alle Berliner für tolerant erklärt? Schlägt er die Faschisten, wo er sie trifft? Macht da die Polizei mit? Nein nein, Grüttke glaubt wahrscheinlich wirklich, daß die Berliner, nur weil im Jahr 2000 eventuell Olympia in der Stadt sein könnte, mehr noch aber, weil er der Chef der Olympia GmbH ist, der Mann, auf dessen Weisheiten wir alle noch gewartet haben, daß also allein deswegen alle lieb zueinander sind. Kurzum: Er hat keine Ahnung. Höttges
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