HARTZ IV: DIE LANGZEITARBEITSLOSEN WISSEN UM IHRE NIEDERLAGE : Die Erziehung zur Reform funktioniert
Es bleibt recht still, nur wenige protestieren. Die Arbeitsmarktreformen Hartz IV scheinen die allermeisten nicht mehr zu erregen; selbst die Betroffenen können offenbar mit den Kürzungen leben. Das erinnert an die Gesundheitsreform. Erst waren alle gegen die Praxisgebühr, inzwischen ist die Mehrheit einverstanden. Der Bürger, so wirkt es, ist wie ein verwöhntes Kind, das seine Bonbons nicht sofort hergeben will. Also muss Vater Staat beharrlich Strenge walten lassen, um das Erziehungsziel Reform doch noch zu erreichen. Diese pädagogische Deutung war schon bisher populär bei der Regierung; nach den mageren Hartz-IV-Protesten wird sie noch beliebter werden. „Kurs halten“ nennt Kanzler Schröder das.
Allerdings sind Gesundheitsreform und Hartz IV nicht so einfach zu vergleichen. Die Gesundheitsreform betraf alle Kassenpatienten und damit sehr viele Wähler. Sie waren geneigt, ein betriebswirtschaftliches Kalkül aufzumachen: Die Zuzahlungen zu den Medikamenten stiegen zwar – aber dafür würden ja vielleicht die Kassenbeiträge sinken. Und selbst wenn Gesundheit insgesamt teurer würde, so zahlt man ja mit den gestiegenen Gebühren für sich selbst. Man finanziert die eigenen Arzneien und den eigenen Praxiseintritt. Diese scheinbare Zurechenbarkeit tröstet immer. Den meisten entging dabei, dass die Gesamtersparnis von 20 Milliarden Euro vor allem an die Arbeitgeber floss.
Ganz anders bei Hartz IV: Da sind die Fronten klar. Die Mehrheitsgesellschaft steht gegen die Minderheit der Langzeitarbeitslosen. Zwar hat die gefühlte Unsicherheit die Mittelschichten längst erreicht, aber gleichzeitig wissen die meisten zumindest unbewusst, dass sie nicht zu den Risikogruppen gehören. Sie sind nicht unqualifiziert, sie sind keine Migranten und sie leben nicht im Osten. Mit Solidarität war also nicht zu rechnen – schon gar nicht demonstrierend.
Und die Langzeitarbeitslosen? Sie wissen, dass sie unterlegen sind und dass Proteste nichts mehr bewirken können. Also hoffen sie wider besseres Wissen, dass das „Fördern“ ernst gemeint sein könnte. Prinzip Lotto: Gegen alle Wahrscheinlichkeit könnte es ja sein, dass man das große Los beim 1-Euro-Job zieht. ULRIKE HERRMANN