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Archiv-Artikel

HARTZ IV: DER PROTEST BESCHRÄNKT SICH AUF FORMALIA Ohne Symbole kein Widerstand

Es scheint wie vergessen: Die Arbeitsmarktreformen namens „Hartz IV“ wurden im Dezember beschlossen und sind bereits seit Januar Gesetz. Doch damals herrschte traute Weihnachtsruhe im Land. Fast niemand regte sich auf. Jetzt wird der Protest nachgeholt, wie im Zeitlupentempo. Denn erst jetzt wird die erste Gesetzesfolge sichtbar: Die Langzeitarbeitslosen erhalten per Post ein 14-seitiges Formular, mit dem das neue Arbeitslosengeld II zu beantragen ist.

Mit dieser Zeitverzögerung verschiebt sich auch das Objekt der Empörung: Der Ärger konzentriert sich nicht so sehr auf die Arbeitsmarktgesetze – sondern vor allem auf die Formulare. Sie gelten als Skandal. Wie kann der Staat seine Bürger nur so frech zur kompletten Entblößung zwingen? Das kann man sich in der Tat fragen – aber man hätte es sich sehr viel früher fragen können. Auch bisher schon mussten Langzeitarbeitslose umfangreichste Angaben zu ihrem Einkommen und Vermögen machen. Das ist nicht neu.

Neu sind nur die Gesetze – wenn man denn Gesetze neu nennen will, das schon Weihnachten verabschiedet wurden. Sie enthalten jene zwei zentralen Verschärfungen, die für etwa 1,5 Millionen Langzeitarbeitslose bedeuten, dass sie ab Januar 2005 deutlich weniger Geld erhalten: Auch für jetzige Arbeitslosenhilfeempfänger gibt es nur noch den Sozialhilfesatz, und wie in der Sozialhilfe wird das Einkommen des Partners ganz berücksichtigt. So schlicht, so folgenreich. Die Formulare hingegen sind nur Behördenroutine.

Doch im Gegensatz zum bloßen Gesetzestext sind die Fragebögen fassbar; sie sind das erste Symbol, das die Arbeitsmarktreformen erzeugen. Die Rundum-Ausforschungsanträge scheinen perfekt jene Erniedrigung zu verkörpern, die eigentlich darin liegt, dass eine Gesellschaft vielen ihrer Armen zumutet, noch ärmer zu werden – ohne ihnen im Gegenzug auch nur eine einzige Chance zu bieten.

Ohne Symbole scheint sich Widerstand nicht formieren zu können, wie man wohl aus dem Fall der Arbeitsmarktreformen lernen kann. Schade eigentlich, denn dadurch kommt der Widerstand oft zu spät. ULRIKE HERRMANN