HANNES KOCH ÜBER DIE HERINGSFISCHEREI IN DER OSTSEE : Fischethik und ihre Grenzen
So soll es sein: Am Kühlregal im Supermarkt weiß man sofort, welcher Fisch halbwegs schonend gefangen wurde. Auf vielen Packungen prangt inzwischen das blau-weiße MSC-Siegel („Marine Stewardship Council“) für nachhaltige Fischerei. Und bald findet man es auch auf Rollmops, Matjes und weiteren Hering-Produkten. Ein echtes Erfolgsprojekt – dessen Grenzen man jedoch nicht vergessen sollte.
Die Dynamik ist erstaunlich. Erst vor 20 Jahren wurde MSC gegründet. Heute soll schon die Hälfte des in Deutschlands verkauften Fischs aus Wildfang das Siegel tragen – ein Ergebnis der gezielten Kampagnen, mit denen Organisationen wie WWF und Greenpeace gegen die Zerstörung der Meere mobil machten. Vom Wal zum Hering: Die Agitation hat funktioniert, weil die Kritiker die ökonomisch konzentrierte Fischindustrie gut aufs Korn nehmen konnten. Die neue Generation der politischen Verbraucher hat das Anliegen aufgenommen und in den Alltag eingebaut. Ethischer Konsum kann ein Machtfaktor sein.
Und doch kritisieren Greenpeace und andere Experten das Fisch-Siegel. Die Kriterien seien zu lasch. Mindestens einige Fischbestände würden zu sehr ausgebeutet. Einen Schutz vor Überfischung biete MSC mithin nicht. Hart gesagt: Das Zertifikat sei auch Tarnung für eine zerstörerische Meerespolitik, die unter anderem die Europäische Union fortsetze.
Tatsächlich gehen die EU-Kommission und auch die Bundesregierung zu viele schlechte Kompromisse mit den Fischereikonzernen ein. Oft liegen die Fangquoten zu hoch. Die Fischflotten europäischer Staaten plündern die internationalen Gewässer. Selbst wenn es den Heringen in der Ostsee wieder besser geht: Von einer naturverträglichen Fischerei sind wir weit entfernt. Dafür müsste die Politik viel härter gegen die Fischkonzerne vorgehen.
Wirtschaft + Umwelt SEITE 11