HAMBURGER SZENE VON REBECCA CLARE SANGER : Übliche Verdächtige
Eine kleine Frau mit steifer, haselnussbrauner Frisur und schmetterlingsartigem Brillengestell schiebt sich durch die Menge – die war doch schon beim Lanzmann gewesen. Wir waren gemeinsam im Bus zurück gefahren. „Die Bettgeschichten fand ich ein bisschen überflüssig“, hatte sie gesagt, und des Filmemachers stolz vorgetragene Geschichten über ihn selbst und Simone de Beauvoir gemeint, „aber das ist eben typisch Französisch.“ Ich hatte sie nach ihrem Beruf gefragt –Französischlehrerin, pensionierte. „Aber das über die Shoah, das fand ich interessant.“
Und darum ist sie jetzt wahrscheinlich hier. Im Jüdischen Salon am Grindel gibt’s keine Plätze mehr, am Eingang drängen sich betagte, betuchte Damen und hoffen, dass jemand seine Karte für die Lesung nicht abholt.
Der amerikanisch-jüdische Autor hat über seine verlorenen Verwandten in Galizien geschrieben, in Frankreich, Amerika und Italien war diese Familiengeschichte ein Hit. Hier in Deutschland spricht er vor allem über den Holocaust, beantwortet Fragen, die vor allem von dem Holocaust handeln. Er fragt, ob er das auf Englisch ohne Übersetzung tun dürfe, und ein zustimmendes Raunen geht durchs Publikum.
Ob die Französischlehrerin auch Englisch kann? Und findet sie die Attitüde, die hier vorherrscht – vom Amerikaner, der meint, alle verstünden ihn; vom Publikum, das meint ihn zu verstehen – eher typisch amerikanisch? Oder typisch deutsch?