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Archiv-Artikel

HAMBURGER SZENE VON KATHARINA GIPP Schön fruchtig

Es ist 7 Uhr morgens, aber geschlafen haben die beiden wohl nicht. Die eine hat schwarz-rot gesträhnte Haare, die Schminke hängt ihr nur noch in Schlieren im Gesicht. Rechts daneben sitzt ein Mädchen im Gangster-Rapper-Chic. Abwechselnd trinken sie aus einem Tetrapack Multivitaminsaft. „Schön fruchtig, nicht?“, fragt die eine. „Mmmh“, sagt die andere zustimmend.

Die U-Bahn erreicht den Bahnhof Nettelnburg, und die beiden lassen sich hinten im Waggon nieder. Dann widmen sie sich sensibleren Gesprächsthemen. „Alter, was hast du heute Abend eigentlich wieder eingeschmissen?“, fragt die Geschminkte, „LSD oder schlechtes Speed?“ – „Weiß nicht mehr“, sagt die andere betont gleichgültig. „Und du?“, startet sie ihren Gegenangriff: „Rauchst du jetzt wieder? Weißt schon, dass man davon Lungenkrebs kriegen kann?“

Das Gangstermädchen streicht der anderen sanft durchs Haar, sagt dann aber: „Die roten Haare sehen richtig scheiße aus. In blond fand ich dich viel geiler.“ – „Ja, findest du?“, entgegnet die so Beschimpfte müde. Dann wälzt sie sich auf den Schoß der anderen, und die beiden knutschen geräuschvoll. Als die Durchsage „Hauptbahnhof“ ertönt, haben sie es plötzlich eilig. Sie verlassen die Bahn. Den Multivitaminsaft lassen sie zurück.