: H. H. ist auch ein bisschen Dada
Ihr Medium ist die Collage: In der Ausstellung „Aller Anfang ist Dada“ zähmt die Berlinische Galerie ihre „Hausheilige“ Hannah Höch. Dazu rückt sie die formalen Aspekte im Werk der Künstlerin zuungunsten der politischen in den Vordergrund
VON CLAUDIA WENTE
Sie ist die einzige Frau unter den Dadaisten: Hannah Höch, deren Name mit einem „H“ anfängt und auch endet, ein bisschen wie Anna (Blume), jene Poesiegestalt Kurt Schwitters’, die von hinten wie von vorn ist – zumindest typografisch betrachtet. Hannah Höch signierte mit einem schlichten doppelten H. H. Die Signatur ist symmetrisch, grafisch, mechanisch, von hinten wie von vorn, von oben wie von unten. Das ist programmatisch. H. H. ist auch ein bisschen Dada.
Erschüttert vom Ersten Weltkrieg, der die Werte des Bürgertums ad absurdum geführt hatte, und zugleich beeindruckt von Maschinen und industriellen Welten, wandten sich die Dadaisten gegen das Bild eines aus sich selbst heraus schaffenden Künstlergenies. Der Künstler galt nicht mehr als Weltenschöpfer oder -kopist, sondern wollte Monteur, Ingenieur, Operateur sein. Kunst, das war in den Augen der Gruppe, die sich ursprünglich in Zürich um das „Cabaret Voltaire“ gebildet hatte, ein Anachronismus. Damit wurde auch die Signatur, die das Werk einzigartig machen und über einen normalen Gebrauchsgegenstand erheben sollte, obsolet. Die Dadaisten ersetzten die zusammenhängenden Weltbilder der Philosophen durch Gebrabbel, Grammatik durch Lautpoesie, den Pinsel durch die Schere. Die Welt war der Zersetzung ausgeliefert, und die Künstler sollten diese Zersetzung aufgreifen und fortführen.
Mit Richard Huelsenbeck schwappte die Bewegung 1918 nach Berlin, wo sich Johannes Baader als „Oberdada“, Wieland Herzfelde, der „Monteurdada“ John Heartfield, der „Dadasoph“ Raoul Hausmann, Walter Mehring und George Grosz zum stark politisch orientierten „Club Dada“ zusammenfanden. Über ihren Geliebten Raoul Hausmann infizierte sich Hannah Höch mit dem Dada-Virus, beide gemeinsam entwickelten die Fotomontage, die gleichzeitig zu der genuin dadaistischen wie der typisch Höch’schen Ausdrucksform werden sollte.
„Aller Anfang ist Dada!“ betitelt denn auch die Berlinische Galerie ihre von Ralf Burmeister kuratierte Werkschau der 1978 verstorbenen Künstlerin. Ein Raum mit Collagen aus der Dada-Zeit an taubengrau gestrichenen Stellwänden bildet folgerichtig so etwas wie die Keimzelle der Schau, von der aus sich strahlenförmig Sichtachsen ergeben. Diese Durchblicke zwischen den Räumen wirken wie kommunizierende Röhren. Zwischen Traumwelten und Abstraktion erscheint eine weniger bekannte Hannah Höch als jene, die mit dem Küchenmesser Bierbäuche der Weimarer Republik seziert. Dieser „Schnitt mit dem Küchenmesser“ (1919) hängt nämlich nicht in der Berlinischen, sondern der Neuen Nationalgalerie.
Dennoch werden dem Besucher Friedrich Ebert und Gustav Noske in Badehosen und mit Blüten(feigen)blättern darüber nicht vorenthalten, Hannah Höch verwendete den aus der Berliner Illustrirten Zeitung ausgeschnittenen Reichspräsidenten und Reichswehrminister mehrfach für ihre Collagen. In ihrer „Dada-Rundschau“ (1919) zieht sie dem Chef der Weimarer Republik Militärreiterstiefel an, die gegen „feuchte Füße“ helfen sollen, und kritisiert damit die blutige Niederschlagung des Spartakus-Aufstandes zur Machtsicherung der SPD.
Das zweite große Thema, das sich durch Hannah Höchs gesamtes Schaffen zieht, ist ihre Auseinandersetzung mit dem Rollenbild der Frau. Der Abzug der Männer aus den Haushalten an die Front des Ersten Weltkriegs hatte den Weg für die Emanzipation freigemacht. Die „neue Frau“ eroberte sich mit Zigarette und Bubikopf in den Zwanzigerjahren die Zeitschriften, war berufstätig und galt als selbstständig. Hannah Höch entlarvt jedoch die medial geprägten Bilder. Sie lässt Frauen in Seidenstrümpfen und erotischen Posen unter riesigen Hüten verschwinden und um Männerkindsköpfe buhlen oder eine gemalte staunende Kindsfrau mit monströsem Babyface die Eheschließung als Büchse der Pandora, aus der nur Übles hervorquellen kann, erfahren. Dabei überträgt sie die aus der Collage gewonnene Aufhebung von Proportionen ebenso in die Malerei wie das Prinzip des Wegnehmens und Hinzufügens. Dunkle Silhouetten zeigen scheinbar die Aussparungen der „ausgeschnittenen“ Figuren – Asta Nielsen als Hamlet und Mussolini – in dem Gemälde „Roma“ (1925).
Katalog und Ausstellung verweisen auf Höchs leidvolle Beziehung zu dem verheirateten Raoul Hausmann, der sie gönnerhaft von ihren bürgerlichen Ehevorstellungen freizumachen suchte, um eine gepflegte Ménage-à-trois mit ihr und seiner Frau führen zu können. Zwei Abtreibungen sind die Folge, die Hannah Höchs „dunkle Seite“ zum Vorschein bringen, der ein eigener Raum gewidmet ist. Düstere pessimistische Werke zeugen von privatem wie politischem Leid und Unterdrückung. Schon 1930 wehrte sie sich gegen den aufkommenden Nationalismus, schnitt dem „deutschen Mädchen“ das Hirn weg, setzt ihm eine Sumo-Ringer-Frisur auf und mongoloide Schlitzaugen ein. Während des Nationalsozialismus war Hannah Höch als „entartet“ geächtet. Sie überlebte zurückgezogen in ihrem Haus in Berlin-Heiligensee, das während der Ausstellungsdauer auf Anfrage besichtigt werden kann, und rettete eine ganze Reihe Werke und Dokumente befreundeter Künstler vor der Zerstörung.
Die vielleicht größte Entdeckung der Ausstellung aber sind Hannah Höchs Collagen aus einem ethnografischen Museum, die humorvoll düster „primitive“ Figurinen und Masken mit Bilderschnipseln von westlichen „Kulturerzeugnissen“ wie Brillen oder Strickleibchen kombinieren. Hier werden Einflüsse des Exotismus ebenso sichtbar wie die auch von den Surrealisten angestrebte Aufhebung des kolonialistischen Machtgefälles. Überraschend sind auch die Klebewerke, in denen Höch Stoffe, Fäden, Stickereien oder Stickmuster zu Formfindungen kombiniert, die Einflüsse des Abstrakten Expressionismus und Konstruktivismus, aber auch von Max Ernst erahnen lassen. Hannah Höch, die Grafik und Buchkunst an der Kunstgewerbeschule studiert hatte, entwarf 1916–1926 Muster für Spitzen, Druckstoffe und Stickereien und verfasste Texte für die Handarbeitsredaktion des Ullstein Verlags. Selbst diese Texte haben einen avantgardistischen Manifestcharakter. In ihnen fordert sie die Frauen auf, naturalistische Blümchen aufzugeben und stattdessen wieder ein „abstraktes Formgefühl“ zu entwickeln. Sie müssten sich doch im Klaren sein, dass „ihr mit euern Stickereien eure Zeit dokumentiert“.
Alles in allem zeigt die Ausstellung eine neu zu entdeckende, sehr vielfältige Hannah Höch. Die Stile variieren, doch ihr Medium bleibt die Collage. Zugleich ist es eine zahme Ausstellung, gerät doch Höchs politischer Impetus durch die ständige Verquickung mit ihrer Biografie und die Präsentation ihrer abstrakten Formspielereien ein wenig ins Hintertreffen. Die Bezüge zu den anderen Kunstströmungen der Zeit muss der Besucher leider den Texten oder dem eigenen Bildgedächtnis entnehmen, da Vergleichswerke fehlen.
Bis 2. Juli 2007, Katalog (Hatje Cantz) 24,80 €