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■ Gysi, Brie, die PDS und die Last der VergangenheitBack to the roots

Die PDS würgt an ihrer Stasi-Vergangenheit. Sie hat besonders viele Fälle in ihren Reihen, die der Aufarbeitung harren, doch sie will diese Aufarbeitung eigentlich nicht, zumindest nicht, wenn diese die Frage nach individueller Schuld stellt und nach persönlichen Konsequenzen verlangt. Vergangenheitsbewältigung ist der PDS kein eigenes Bedürfnis, sondern eine politische Konzession, die sie zunächst der Bürgerbewegung machte und die hernach ihre neuen Bündnispartner im Westen forderten. Deshalb fällte sie im letzten Jahr den MfS-Beschluß. Seitdem versucht sie, sich öffentlich den Pelz zu waschen, ohne dabei richtig naß zu werden.

Was dabei herauskommt ist ein ständiges Lavieren. Der Berliner Landesvorsitzende Brie taktiert bei der Mißachtung des MfS-Beschlusses, der Bundesvorsitzende Gysi läßt ihn, mitwissend, gewähren und deckt ihn gar. Das taktische Verhältnis prägt einen Landesvorstand, der seinen Stasi-belasteten Vorsitzenden nicht entläßt, obgleich es die Parteibeschlüsse bindend vorschreiben. Es prägt einen Landesparteitag, der mehrheitlich seinen Vorsitzenden im Amt belassen will, obwohl er bereits gefeuert sein müßte. Darüber nicht einmal diskutieren zu wollen, weil dies dem Feind nütze, offenbart das Ausmaß von Lagerdenken.

Taktisch begründet ist letztendlich auch das Ende der Vergangenheitsaufarbeitung in der PDS, daß der Vorsitzende Gregor Gysi auf dem Berliner Landesparteitag einläutete. Er hat, um seinen Vize zu entlasten und zu halten, den MfS-Beschluß nun als von Anfang an falsch verworfen. In einem Akt rhetorischer Vorwärtsverteidigung erweitert er den MfS-Komplex zugunsten eines diffusen gesellschaftlichen Denunziationszusammenhanges mit Namen DDR, in dem jeder jeden aushorchte und alle über alles berichteten. Damit läßt sich keine individuelle Schuld mehr festmachen.

Gysi hat damit die wenigen „Dummköpfe“ gescholten, die sich an den Stasi-Beschluß hielten. Daß er dies jetzt macht, wird auch den letzten Reformer in der PDS vergraulen, daß er dies erst jetzt macht, werden ihm einige Traditionalisten verübeln. Der Vorsitzende hat damit seiner Partei eine neue Richtung vorgegeben – es ist die alte. Die PDS kommt wieder bei ihren politischen Wurzeln an, von wo ein Großteil ihrer Mitglieder nie aufgebrochen ist. Damit hat sie endgültig den Anspruch, in der politischen Auseinandersetzung in Deutschland eine nennenswerte Rolle zu spielen, aufgegeben. Sie zieht sich in eine Nische zurück, in der sie, nicht mehr zur Aufarbeitung genötigt, im Einklang mit sich selber leben und sterben kann. Dieter Rulff

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