: Gute und böse Faustschläge
■ betr.: „Mißbrauchter Kongreß“, taz vom 21.1.94
Man hat wieder einmal zugeschlagen – für das Wahre und Gute natürlich. Denn merke: Wenn Wörter empören, wird der Faustschlag zur Pflicht. Oder, O-Ton Nowakowski: „Angesichts solch geiferndem Kreuzzugsgehabe haben sich die Veranstalter die handfesten Proteste selber zuzuschreiben.“ Mit „geiferndem Kreuzzugsgehabe“ ist die Abhaltung des Kongresses zum sexuellen Kindesmißbrauch gemeint, mit „handfeste Proteste“ der Versuch von etwa 60 Wildwasser-SympathisantInnen, ReferentInnen des Kongresses – insbesondere die zum Feindbild schlechthin erkorene Publizistin Katharina Rutschky – mit Schlägen und Fußtritten am Betreten des Saales und damit am Reden zu hindern.
Rollkommandos dieser Art sind in Berlin inzwischen zum alltagskulturellen Erscheinungsbild geworden: der Überfall auf das Eiszeitkino, Anschläge auf mißliebige Kreuzberger Lokale etc. Wohl dem, dem die eigene Wahrheit so wahr und notwendig erscheint, daß ihm jegliches Mittel zum Zweck gerät – und sei es die physische Bedrohung und Attackierung des anderen.
„Der Streit um den Mißbrauch des Mißbrauchs wird endlich auf öffentlicher und politischer Bühne ausgetragen“, schreibt Nowakowski, und mit „öffentlich“ und „politisch“ meint er scheinbar die Tatsache, daß – im Gegensatz zu früher – jetzt endlich nicht mehr nur geredet, sondern auch geprügelt wird. Man stelle sich diese Äußerung als Kommentar zu rechten Ausschreitungen vor. Aber wahrscheinlich mache ich hier einen entscheidenden Fehler, nämlich „rinks“ und „lechts“ zu verwechseln. Vielleicht sollten die fundamentalistischen SchlägerInnen das nächste Mal ihre jeweilige politische Richtung klarer deutlich machen, damit auch diejenigen, die sie zu den menschlichen Zielscheiben ihrer Gewalt erklären, zwischen einem Faustschlag im Sinne des Guten und einem Faustschlag im Sinne des Bösen zukünftig besser unterscheiden lernen. Hans Geißlinger
Anmerkung der Red.: Dem Autor war bei Abfassen des Kommentars der tätliche Angriff auf Katharina Rutschky nicht bekannt. Die „handfesten Proteste“ bestanden für ihn in der Blockade der Veranstaltung.
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