Gutachten in Saudi-Arabien: Nur noch Männer an die Kasse
Ein religiöses Gutachten verbietet es Frauen, als Kassiererinnen im Supermarkt zu arbeiten. Doch nun gibt es Kritik an dem erneuten Versuch, die Moderne aufzuhalten.
KAIRO taz | Auf den ersten Blick scheint im Königreich Saudi-Arabien alles beim Alten zu bleiben. Ganz besonders, wenn es um Frauen geht, versucht das erzkonservative islamische Establishment, die Moderne aufzuhalten. So wurden die wahabitischen Scheichs nun wieder ihrem Ruf gerecht, als sie eine Fatwa, ein islamisches Rechtsgutachten, veröffentlichten, dass es Kassiererinnen verbietet, in Supermärkten zu arbeiten.
In dem vom Hohen Fatwa-Rat herausgegebenen Rechtsgutachten heißt es: "Frauen ist es nicht erlaubt, an Plätzen zu arbeiten, an den sie mit Männern zusammenkommen." Die Frauen sollten "eine Anstellung finden, die sie nicht in Versuchung führt und in der sie nicht zur Versuchung werden". Unterschrieben ist das Ganze nicht von radikalen Hinterhofscheichs, sondern vom Großmufti und sechs weiteren hochrangigen Rechtsgelehrten.
Sie versuchen damit, einer neuen Entwicklung einen Riegel vorzuschieben. Die saudische Panda-Supermarktkette hatte im Juni begonnen, Kassiererinnen einzustellen. Geplant war, dass in der nächsten Zeit 2.500 Frauen dort Arbeit finden. Erzkonservative Prediger hatten dazu aufgerufen, die Supermarktkette zu boykottieren.
Soweit das alte Saudi-Arabien. Es ist noch nicht allzu lange her, da war jeder Widerspruch gegen die Scheichs Tabu. Ein Journalist, der sich öffentlich gegen die Entscheidungen eines Muftis gestellt hätte, wäre sofort seinen Job losgewesen. Und nun kommt das neue Saudi-Arabien. Denn die Entscheidung des Muftis hat eine Welle öffentlicher Empörung ausgelöst.
"Eine Frau darf nach islamischem Recht an einer Ampel betteln. Wenn sie als Kassiererin arbeitet, heißt es, das sei verboten, weil sich die Geschlechter mischen", stellt die Tageszeitung al-Okaz provokativ fest und stellt die Logik des Muftis infrage: "Warum ist es nicht haram (verboten), wenn Männer an der Kasse sitzen und Frauen Käse, Bohnen und Oliven verkaufen?"
Auch die islamische Rechtfertigung wird hinterfragt, da die Fatwa sich auf keine religiösen Quellen bezieht, sondern nur die Meinung des Muftis wiedergibt. "Der Koran fordert von uns, unser Hirn zu benutzen. Es gibt keine einzige Stelle im Koran, die die Frauen das Kaufen und Verkaufen verbietet", legt die Zeitung nach.
Auch al-Schark al-Aussat, eine andere Tageszeitung, hält mit ihrer Opposition nicht hinter dem Berg. Schließlich, so heißt es in dem Blatt, erinnerten sich die Saudis an die alten Zeiten, als Frauen ihre Waren auf Wochenmärkten anboten. Die Zeitung zitiert auch die neusten Zahlen des saudischen Arbeitsministeriums, laut denen die Arbeitslosigkeitsrate unter Frauen inzwischen 28 Prozent erreicht hat, im Vergleich zu 7 Prozent bei den Männern. "Es geht hier nicht nur um die Kassiererinnen, wir haben 60.000 Frauen mit Universitätsabschluss, die eine Arbeit suchen", sagt Fawzia al-Bakr, Professorin an der King Saud Universität in Riad.
Die Macht der wahabitischen Scheichs liegt an ihrer Symbiose mit dem Königshaus. Letzteres sichert seit jeher die weltliche Macht, und die Scheichs liefern der Familie Saud die religiöse Legitimation. Doch nun isoliert sich die erzkonservative Hierarchie mit ihren rückwärtsgewandten Entscheidungen gesellschaftlich immer mehr und wird für das Königshaus zur Last. Der Streit über die Kassiererinnen ist für Khalid al-Dakhil, Professor für politische Soziologie an der King Saud Universität, daher ein Symbol für ein größeres Schisma, "einen Zusammenstoß zwischen politischer und religiöser Gesellschaft".
Das Königshaus hat in dem Streit noch keine Position bezogen. Da Fatwas sind nicht bindend sind, könnte das dem Königshaus einen Ausweg bieten: keine Stellung beziehen, Scheichs und Journalisten streiten lassen und dann das Rechtsgutachten ignorieren. "Schließlich", schreibt die saudische Bloggerin Eman al-Nafjan, habe der Hohe Fatwa-Rat schon so manche Fatwa veröffentlicht, die sich am Ende nicht durchgesetzt habe. "Man denke nur an sein Verbot von Musik und Satellitenfernsehkanälen."
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