Guns N'Roses mit neuem Album: Der längste Witz der Rockgeschichte
Nach 14 Jahren und 16 Millionen US-Dollar Produktionskosten ist es tatsächlich so weit: Guns N'Roses sind wieder da, und mit ihnen das Album "Chinese Democracy". Aber warum?
17 Jahre ist es her, dass die US-amerikanische Rockband Guns NRoses zuletzt eigene Songs veröffentlichte. 17 Jahre! 17 Jahre sind natürlich recht wenig, wenn man in Erdzeitaltern rechnet oder Udo Jürgens glaubt. Aber das soll man ja auch nicht. Im Pop sind 17 Jahre wahrlich ein ganz großer Hintern voll Zeit.
Zusammen mit den Gitarristen Slash und Izzy Stradlin sowie dem Bassisten Duff McKagan und dem Schlagzeuger Steven Adler gründete Axl Rose 1985 die bierselig-hedonistische Rockgruppe Guns NRoses, eine der erfolg- und einflussreichsten Bands der Ära, die 1996 endete - als Rose und Slash im Streit auseinandergingen, um nie wieder eine Wort miteinander zu sprechen. Seitdem wartet die Welt auf "Chinese Democracy", deren Veröffentlichung jedes Jahr angekündigt und jedes Jahr auf Roses Betreiben aufs Neue wieder verschoben wurde. Bis heute. FRA
Nicht grundlos wies der Rolling Stone in einer Vorschau auf das nun erscheinende Guns-N-Roses-Album "Chinese Democracy" darauf hin, dass es sich um die erste Veröffentlichung mit neuem Material "seit der ersten Bush-Administration" handle. In der Zwischenzeit ist zu viel passiert, als dass man diesen Aspekt außer Acht lassen könnte. Seither hat sich zum Beispiel der Sänger dieser anderen Band erschossen, Nirvana. Für weiße Radlerhosen, wie Axl Rose, der Sänger von Guns NRoses, sie 1991 noch trug, wird man heutzutage verhauen. Und zugegeben, es klingt lächerlich, ist aber wahr: Arnold Schwarzenegger, dessen Wirken die Band musikalisch umrahmte, als er 1991 zum zweiten Mal als "Terminator" im Kino auftrat, ist in der Zwischenzeit Kaliforniens Gouverneur geworden.
1991, im Jahr der Veröffentlichung der beiden weltbewegenden "Use Your Illusion"-Alben, war Guns NRoses eine Band, die aus Männern bestand, die an gewisse Dinge glaubten: Sie glaubten, lange bevor Donald Rumsfeld das Sagen hatte, an Vereinigte Staaten nach dessen Zuschnitt. Sie glaubten darüber hinaus an die Männlichkeit, Strapse, Whiskey, Heroin, an Gitarren natürlich, an die eigene Bedeutung, an die Themen Tod, Krieg und Liebe und daran, dass alle drei zusammengehören. Sie glaubten an lange Haare und das Musikvideo.
An dieses Bündel von Dingen glaubt heute kein Mensch mehr.
Axl Rose füllte, teilweise in Kooperation mit dem Gitarristen Slash, der einen Zylinder trug, wo andere einen Kopf hatten, die Stelle aus, die für eine spätere Generation Pete Doherty einnahm: die Stelle des abgewrackten Genies, des Manischen, des Abhängigen, des Modelizers. Doherty schmückte sich mit Kate Moss, Axl Rose mit Stephanie Seymour, dem Model, das im epochalen Video zum Song "November Rain" die Braut in Strapsen spielt, die am Ende, begleitet von der furchtbar tragisch jaulenden Sologitarre von Slash, den Löffel abgibt. Doch Doherty glaubt nicht an lange Haare, an das Musikvideo und an die Männlichkeit von 1991, vermutlich schon gar nicht an Donald Rumsfeld.
Guns NRoses besangen eine andere Zeit. Jetzt aber, plötzlich, ist die Band wieder da, mit ihrem - das ist das einzig richtige Wort - ganzen alten Scheiß. Mit dem ganzen Bündel von Dingen, von Strapsen bis zum Musikvideo, an das in dieser Zusammenstellung heute kein Mensch mehr glaubt. Außer Axl Rose.
Wenn, besser: falls an diesem Samstag tatsächlich wie angekündigt, das neue Guns-N-Roses-Album zu kaufen sein wird, endet daher nicht nur der kürzeste und längste Witz der Popgeschichte. Es stellt sich vor allem auch die Frage, ob Rose, das einzige Mitglied der Urbesetzung der Band, das er nicht weggeekelt hat, wirklich damit durchkommt.
Was den Witz betrifft: Er dauerte von 1994 bis 2008, weshalb er der längste der Geschichte ist. Und geht, was ihn zum kürzesten macht, so: ",Chinese Democracy' erscheint!" 14 Jahre lang war von der Entstehung des Albums die Rede, seit 9 Jahren ist der Titel bekannt, seit mindestens 10 Jahren kündigen Band und Plattenfirmen regelmäßig die Veröffentlichung an. Und fast ebenso lange wird darüber gelacht. Die Band The Offspring machte sich einmal einen Spaß daraus, mitzuteilen, wenn Guns NRoses es nicht hinbekämen, wollen eben sie ihr neues Album "Chinese Democracy" nennen. Es war ein Witz. Aber ein ganz guter. Die New York Times schrieb einmal, der Begriff "Chinese Democracy" sei zu einer Metapher für jede Art von endlosem Irrsinn geworden. Kurz, wenn auf eines Verlass war in den letzten 14 Jahren, dann darauf, dass "Chinese Democracy" ebenso regelmäßig nicht erschien, wie sein Erscheinen angekündigt wurde. Über kein Album, das es nicht gab, dürfte je mehr geschrieben worden sein. Keines hat mehr gekostet, von 16 Millionen US-Dollar ist die Rede. In 14 Studios soll es aufgenommen worden sein, und dass selbst irgendein Beteiligter noch rekonstruieren kann, wie viele Juristen damit befasst waren, muss ernsthaft bezweifelt werden. Ohne einen einzigen Ton ist "Chinese Democracy" so zu einem Teil der Popgeschichte geworden.
Es ist daher auch nicht die Frage, ob "Chinese Democracy" ein erfolgreiches Album wird. Bestimmt wird es das. Wenn allein am Freitagabend in 16 deutschen Städten Release-Partys stattfinden, ist das nur ein kleiner Baustein der, ob so gewollt oder nicht, längsten PR-Kampagne aller Zeiten: Mit jeder People-Meldung, die seit 1994 erschien, mit jeder Verschleppung der Veröffentlichung wurde die Erwartung gesteigert. Dass auf alte Fans zudem immer Verlass ist, hat vor kurzem erst wieder AC/DC mit einer Platte bewiesen, die extrem erfolgreich ist, an Einfallslosigkeit aber nur von Bierzelthits noch überboten wird.
Die Frage ist, ob die hohen Erwartungen, die an eines der schon jetzt legendärsten Alben der Musikgeschichte gestellt werden müssen, auch erfüllt werden können, nun, da der musikfreie Raum tatsächlich mit jenen Tönen gefüllt wird, die schon seit einiger Zeit im Netz kursieren. Axl Roses Versuch, 2008 an den 1991 umwerfenden Blitz-und-Donner-Rock anzuknüpfen, ist - musikalisch zumindest - jedenfalls gescheitert. Fast scheint es, als habe er aufholen wollen, was er in den vergangenen 15 Jahren ausgelassen hat - Triphop, Alternative Rock, leichte Elektronik, neuere R n B-, Funk- und Hiphop-Elemente -, um zugleich Guns NRoses von früher zu bleiben.
Immer wieder zitiert Rose das alte Oeuvre: Wie einst im Song "Coma" wird nun in "Shackles Revenge" der gezogene Abzug beschworen - ein Motiv, das heute allerdings der Gangsta-Rap besetzt hält. In "Madagascar" werden, abgesehen von Zeilen aus Martin Luther Kings "I have a dream"-Rede, auch Samples aus dem alten "Civil War" wieder ausgegraben. In den besten Momenten, zu denen Songs wie "There Was A Time" oder "This I Love" zählen, klingt Guns NRoses wie eine Guns-N-Roses-Coverband. In den finstersten Momenten klingen die Texte wie Hardrockabzählreimchen: "Riyadh And The Bedouins / Had A Plan And Thought Theyd Win / Didel dadel dudel deg / Schli-Schla-Schlumpf, und ich bin weg". Da fehlt dann wieder mal nur noch Donald Rumsfeld. "Chinese Democracy", das an Einfällen und Gefrickel reiche, an großen Melodien aber arme Album einer Band, die einmal eine der wichtigsten des Planeten war, kommt also nur mit Mühe gegen den Zahn der Zeit an.
Dass es dennoch ein Album ist, das eine Vision der Hoffnung verbreitet, liegt nicht nur an den keilscharfen Gitarrenstößen, die den Titelsong auszeichnen, der von Unterdrückung erzählt, und dessen Video - da dreht Rose das ganz große Rad - "jenen gewidmet ist, die sich dagegen wehren". Sondern vor allem daran, dass Guns NRoses nicht nur an lange Haare und Strapse glaubte, sondern auch als Sprachrohr jener galt, die das Träumen verlernt hatten. Das ist Guns NRoses geblieben. Die Veröffentlichung von "Chinese Democracy" nach 14 Jahren des Wartens kündet von der Chance, Ziele am Ende doch noch zu erreichen: Wenn selbst dieses Album nun wirklich erscheint - was ist dann noch alles möglich? Man sollte es wahrlich nicht hoffen, aber man muss die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass einer der nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten Axl Rose heißt. Davon handelt "Chinese Democracy": Use Your Illusion.
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