Gundula Oerter über schlechte Flüchtlingspolitik: „Ein unhaltbarer Zustand“
MitarbeiterInnen der Flüchtlingsinitiative lehnen ab, von Innensenator und Sozialsenatorin als Ehrenamtliche gewürdigt zu werden. Gundula Oerter erklärt, warum.
taz: Frau Oerter, warum ist die Flüchtlingsinitiative so undankbar?
Gundula Oerter: Warum sollten wir dankbar sein? Wir machen unsere Arbeit aus anti-rassistischer Überzeugung und nicht, um vom Senat geehrt zu werden.
Deshalb haben die MitarbeiterInnen der Flüchtlingsinitiative es abgelehnt, dass Innensenator und Sozialsenatorin sie für ihr ehrenamtliches Engagement würdigen?
Ja. Die SenatorInnen sollen unsere inhaltlich fundierte und seit Jahren formulierte Kritik ernst nehmen und umsetzen. Dass ausgerechnet diese beiden Stellen uns würdigen wollen, ist grotesk.
Wieso ist das grotesk?
50, ist eine von acht Ehrenamtlichen der Flüchtlingsinitiative. Ihre Arbeit finanzieren die AnwältInnen, PsychologInnen und SozialpädagogInnen seit 21 Jahren über Spenden.
Es sind ja genau die Behörden dieser beiden Ressorts, die unsere Arbeit erst nötig machen und den Menschen, die wir beraten, das Leben erheblich erschweren – wie die Ausländerbehörde, das Standesamt, die Sozialzentren.
Welche Probleme tauchen auf?
Da gibt es viele! Zum Beispiel eklatante Falschentscheidungen oder die fehlende Information über bestehende Rechte, außerdem werden Ermessensspielräume systematisch nicht ausgenutzt. Bei Anträgen auf Aufenthalt wird die Lebensunterhaltssicherung gefordert, wo dieser keine Voraussetzung ist, die Echtheit von Dokumenten wird angezweifelt, wo es keinerlei konkrete Anhaltspunkte gibt, Leute werden zur Ausreise aufgefordert, obwohl sie durchaus einen Aufenthaltsgrund haben und so weiter. Von den Sachbearbeitern werden die Betroffenen auch häufig respektlos behandelt, wir hören immer wieder von rassistischen Äußerungen.
Hat nicht Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) mehrfach darauf hingewirkt, dass Ermessensspielräume zugunsten der Flüchtlinge ausgelegt werden?
Ja, es gibt einzelne Erlasse, aber die sind längst nicht ausreichend. Und die Erlasse, die es gibt, werden in den Bescheiden der Ausländerbehörde sehr häufig nicht berücksichtigt. Ein Großteil unserer Arbeit besteht deshalb darin, die Ausländerbehörde dazu zu bringen, sich an geltendes Recht zu halten. Das heißt natürlich, dass die Leute, die nicht in unsere Beratung kommen und auch kein Geld für eine Rechtsanwältin haben, die ihnen zustehenden Rechte nicht gewährt bekommen. Asylsuchende erhalten außerdem keine gesicherte Asylverfahrensberatung. Das ist ein unhaltbarer Zustand.
Ist Bremen dazu verpflichtet, die Beratung zu organisieren?
Wenn es in einer Stadt eine zentrale Erstaufnahmestelle gibt, ist es ein Muss, eine ausreichende Asylverfahrensberatung zu gewährleisten. Bremen finanziert dafür bisher nicht mal eine volle Stelle.Wir veranschlagen pro Person und Asylverfahren drei bis fünf Stunden. Das ist realistisch, um Leute angemessen auf ein so komplexes Verfahren vorzubereiten, bei dem es um asylrelevante Fluchtgründe geht und mitunter um die gesamte Lebensgeschichte – und vor allem um deren Zukunft.
Das Bundesamt verweist auf Sie als ehrenamtliche Beratungsstelle.
Im Sinne der Betroffenen finden wir das total okay. Mit Blick auf den Staat ist es nicht in Ordnung. Bremen muss dafür sorgen, dass das Asylrecht von den Betroffenen auch in Anspruch genommen werden kann, und das bedeutet eine ausreichende Finanzierung einer Rechtsberatung. Es geht nicht, dass staatliche Aufgaben reihenweise auf Ehrenamtliche abgewälzt werden.
Können staatlich finanzierte Stellen überhaupt unabhängig beraten?
Das ist nicht leicht, aber das muss dabei rauskommen. Zumindest geht es nicht, dass diejenigen, die beraten, gleichzeitig entscheiden. Und es ist auch fragwürdig, dass die beraten, die eine Monopolstellung bei der Unterbringung haben.
Sie meinen die Arbeiterwohlfahrt, die die Flüchtlingsheime bewirtschaftet?
Ja. Für die Menschen muss unterscheidbar sein, wo sie ihren Asylantrag stellen, wo sie wohnen und wer sie berät. Bei einem Asylverfahren muss ich vortragen, wo ich verfolgt und in meiner Unversehrtheit verletzt wurde. Das sind sensible Punkte, dafür braucht es in der Beratung ein Vertrauensverhältnis.
Sollte also die Flüchtlingsinitiative staatlich finanziert werden?
Uns geht es um politische Veränderung und nicht um Geld. Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der alle Menschen den gleichen Zugang zu Ressourcen haben. Dann sind Beratungsstellen wie die unsere auch gar nicht mehr nötig.
Hätte die Würdigung Ihrer ehrenamtlichen Arbeit nicht Ihre Position gestärkt?
Nein, das ist eine Show-Veranstaltung ohne jede politische Relevanz. Verhandlungspositionen werden aber immer nur durch gute Inhalte gestärkt – und die vertreten wir.
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