: Grundsolides aus der Maschinerie
■ "Gute Kultur, solange wir die Schnauze halten": Das Berliner "Modern Music"-Label
Der Name des Labels klingt etwas altbacken, die Musikrichtungen, die sich dahinter verbergen, sind es nicht: Das Berliner Label „Modern Music“ hat Punk, Metal, Elektro und Industrial-Sound in seinem Angebot. Der große Warenkorb für alle, die sich abseits von Mainstream-Pop und Alternative Rock für diese randständigen – zumindest was das öffentliche Bewußtsein betrifft – Spielarten von Musik interessieren. Modern Music fungiert als Dachverband für sechs verschiedene Label und versteht sich als Logistikzentrum, das sich um Verwaltungsaufgaben wie Vertrieb, Abrechnungskontrolle, Verpacken von Platten und CDs oder Verlagsbelange kümmert.
Jor Mulder ist einer der beiden hauptverantwortlichen Köpfe von Modern Music und für die Labels zuständig, die Elektro und Industrial-Musik in ihrem Programm haben, Machinery, Fluxus und Dynamica. Er erklärt Modern Music als „verwaltungstechnischen Wasserkopf“, der die Effektivität der einzelnen Labels erhöht und besonders den Platz „für die Kreativität“ freimacht. Jor: „Die einzelnen Labels stellen zweimal im Jahr einen Haushalt auf, errechnen ihren Umsatz und zahlen dementsprechend Verwaltungsgebühren an Modern Music. That's all. Darüber hinaus haben sie dann genug Zeit, sich um die Künstler und ihre Musik zu kümmern.“
Die Basis für die heutige Großfirma (Modern Music hat inzwischen 20 bis 25 MitarbeiterInnen) bildete das Label Agressive Rock Production (AGR), das Anfang der Achtziger mit Pro-Punk/Hardcore-Platten von Slime, Toxoplasma und Daily Terror für Furore sorgte und nach den Metamorphosen von Punk in Hardcore, Trash und Metalbereiche ein zweites Label zur Seite gestellt bekam: Noise. Auf Noise kamen und kommen Bands wie Celtic Frost, Tankard, Kreator und Halloween heraus, allesamt Metalacts aus dem deutschsprachigen Raum. Mit diesen verdiente Labelchef Karl Walterbach „einen Haufen Geld“ und die Band Halloween erhielt angeblich sogar zwei oder drei goldene Schallplatten.
„Karl stand dann vor dem Problem, das verdiente Geld wieder zu investieren, in ein Studio, in neue Bands. Er wollte aber nicht unbedingt die Metalschiene weiterfahren. Ich selbst war Musiker in diversen Elektrobands, ein Bereich, von dem Karl wenig Schimmer hatte, in den er aber durchaus Einblick haben wollte und so bot sich eine Zusammenarbeit ganz gut an.“ Also gründete Jor das Label Machinery, das schließlich zusammen mit AGR und Noise aus den oben genannten Gründen unter die fürsorgliche Obhut von Modern Music gestellt wurde.
Ein bißchen Glück zum Start von Machinery war dabei, als schon die zweite Maxi-Single sich allein in Spanien und Frankreich 60.000- bis 70.000fach verkaufte und damit für einen gesunden finanziellen Etat sorgte. Andererseits hält Jor sich auch für einen alten Hasen, gerade im Elektronik- Pop-Bereich, der genau wußte, was er da begann, und das Label dementsprechend zielgerecht auf ein Publikum zuschnitt: „Mein Motto war, etwas zu machen, womit ich auch eine Marktchance habe. Besonders im Ausland hat Musik aus Deutschland einen bestimmten Ruf und läuft unter den Klischees ,Middle of the Road-Metal‘ à la Scorpions auf der einen und harte Elektronik wie DAF und Kraftwerk auf der anderen Seite. Letzteres machen wir, und die Hälfte unserer Platten verkaufen wir folgerichtig auch ins Ausland.“ Machinery soll die dritte Generation in dem Stammbaum von Tangerine Dream über Kraftwerk bis zu DAF und Nitzer Ebb darstellen, beansprucht aber auch, im Rahmen von elektronischer Musik, Vielseitigkeit, die „von And One mit ihrem Synthie-Pop bis zu der Band Oomph! geht, die gnadenlos da weitermachen, wo Nitzer Ebb aufgehört haben“.
So scheint der Boden für Erfolg und dem damit verbundenen guten und schnellen Geld bestellt zu sein. Natürlich darf das nicht der alleinige Sinn der künstlerisch-kreativen Sache sein, will man doch mit den Bands langfristig arbeiten und drei oder vier Alben mit ihnen machen. Angst hat Jor Mulder vor jeder Art von Hype und schnellem Ausverkauf. Besonderen Wert legt er als Elektronik-Labelmacher auf die Abgrenzung zur Dancefloor-Szenerie, zu Tech(kk)no und Acid-House, „die uns die letzten zwei Jahre überrollten, wo sich alle Journalisten draufstürzten, die große Sache draus machten, und ein halbes Jahr später macht es Puff! und aus, und nichts ist mehr. Das hätte ich auch alles haben können.“
„Schuster bleib bei deinen Leisten“, sagte er sich da und freut sich über einen guten Ruf, den Machinery abseits vom großen Medienrummel hat. „Es bleibt so lange eine gute Kultur, wie wir unsere Schnauze halten.“ Folglich meint man bei Machinery, auch „gezielt an den Fünf-Sterne-Besprechungen in Spex oder Musikexpress vorbeizuarbeiten“, und beackert einen Bereich, der von Zillo und Subline bis zu Depeche Mode und Front-242-Fanzines reicht. „Andererseits sage ich unseren Musikern auch, sie sollen Livetouren machen und sich durch diese Präsenz eine Fangemeinde aufbauen. Das können auch Feten mit 200 oder 300 Leuten sein. Besonders wichtig für uns sind aber auch Disotheken, mit denen wir fast mehr als mit der Presse zusammenarbeiten. Der Discothekenverteiler ist der erste und wichtigste Schritt, um eine unserer Bands aufzubauen.“ Das geht in Deutschland besonders über die Achse Berlin–Leipzig– Dresden, und die Wiedervereinigung wird im Hause im nachhinein als ein Dazukommen von „16 Millionen potentiellen Käufern“ angesehen. Was um so mehr hinhaut, wenn aus dem Westen der Republik immer die Fragen kommen, ob „eure Bands aus dem Westen oder Osten sind“, im letzteren Fall alle Klappen herunterfallen und das musikalische Interesse schnell abebbt. Das beste Beispiel war die Cottbusser Gruppe Sandow vom Modern Music Label Fluxus, die in der beliebten „Fachzeitschrift“ Spex nur im Sinn von Ost-West- Beschreibung und Ossi-Exotismus abgeklopft wurde und ihre Musik als ein gerade noch zu erwähnendes Nebenprodukt davon. Das kann ärgern. Um so bestrebter ist man im Hause Machinery, diese Ignoranz (auch von anderen sich alternativ gerierenden Organen) als Vorteil und Erfolgsrezept zu verkaufen. Und geht dann so weit, Machinery als „Volkslabel“ anzusehen, dessen Fans „jung“ und mehr in „proletarischen Gegenden“ zu Hause sind.
Diese Selbstzuschreibung mag zutreffen, den schönsten, stimmigsten und schlauesten Satz über Labels und ihre Bands hat der altehrwürdige Pop-Professor Peter Wicke gesagt: „Eine Rockband ist immer ein Wirtschaftsunternehmen.“ Gerrit Bartels
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