Grundsicherung: Immer mehr Alte und Kranke sind arm
Die Altersarmut nimm zu: Seit 2003 steigt die Zahl derjenigen deutlich, die im Ruhestand oder bei Arbeitsunfähigkeit auf Grundsicherung angewiesen sind.
BERLIN taz | Immer mehr Menschen sind in Deutschland auf Grundsicherung im Alter oder bei einer Erwerbsminderung angewiesen. Die Zahl dieser Sozialleistungsempfänger stieg von Ende 2003 bis Ende 2009 um 74 Prozent: von knapp 439.000 Personen auf knapp 764.000 Personen.
Betrachtet man nur die Grundsicherungsempfänger im Alter, also solche ab 65 Jahren, dann gab es immer noch einen Anstieg um 55 Prozent: von knapp 257.800 auf knapp 400.000 Personen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, die der taz vorliegt.
Im Schnitt müssen die Grundsicherungsempfänger, bei denen die selbsterworbenen Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht ausreichen, monatlich von 658 Euro leben. Der Betrag liegt damit weit unter der Armutsgefährdungsschwelle, die die EU-Statistik ermittelt hat. Als arm gilt demnach, wer weniger als 930 Euro im Monat zur Verfügung hat. Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, fordert deswegen die Einführung einer Mindestrente: "Niemand soll im Alter von weniger als 900 Euro leben müssen."
Doch nicht nur die Grundsicherungsempfänger bekommen deutlich weniger als 900 Euro. Auch für Neuzugänger in die gesetzliche Rentenversicherung liegt der durchschnittliche Auszahlungsbetrag bereits darunter und sinkt weiter. Während 1999 Männer im Schnitt bei Renteneintritt noch 880 Euro (West) und 870 Euro (Ost) erhielten, waren es zehn Jahre später 820 Euro (West) und 800 Euro (Ost).
Gründe dafür sieht Birkwald im wachsenden Niedriglohnsektor und in den Rentenkürzungsfaktoren der vergangenen Jahre. "Wer Altersarmut bekämpfen will, muss heute handeln. Doch bei der Bundesregierung herrscht das Motto: Raider heißt jetzt Twix, passieren tut trotzdem nix."
Bereits im April sollte eine Kommission mit der Ausarbeitung von Konzepten gegen Altersarmut beginnen. Mitte Mai verkündete Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) dann, statt einer Kommission werde es - um das Verfahren zu beschleunigen - einen Regierungsdialog Rente geben. Doch einen Fahrplan oder inhaltliche Schwerpunkte konnte ihr Ministerium bisher nicht benennen. Man tausche sich intern noch aus, sagte eine Sprecherin. Anfang 2012 sollen bereits konkrete Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin