piwik no script img

Grüner Wahlkampf in HessenFischer rockt das Kurhaus

Wenige Tage vor der Hessenwahl soll Joschka Fischer den Grünen aus dem Umfragetief helfen. Bei seinem einzigen Auftritt drischt er vor allem auf seinen altvertrauten Gegner Koch ein.

Von Null auf 180: Gastwahlkämpfer Fischer. Bild: reuters

WIESBADEN taz Für einen Moment wirkt er glücklich. Das Gesicht glänzt verschwitzt, die Augen gleiten übers Publikum, über die Kameras, er atmet tief ein. Dann, mit Blick auf die Uhr, holt er sich zurück in die Gegenwart. Der Auftritt ist vorüber, er hat jetzt ein neues, viel wichtigeres Leben.

Nur für einen Abend im hessischen Wahlkampf ist Joschka Fischer zurückgekehrt. Man kann ihn inzwischen als Redner buchen bei der Celebrity Speakers GmbH, sie haben auch Gorbi und diesen italienischen Ex-Fußballschiedsrichter ohne Haare im Angebot. Fischers Aufsätze werden über das Project Syndicate verkauft, das ihn "The Rebel Realist" nennt. Alles ein wenig klinisch, da tun ihm etwas Koch und Schweiß gut. Aber nicht zu viel, er hat ja nach dem Abgang 2005 behauptet, dass Politik keine Droge sei, sondern reine Leidenschaft.

Das Kurhaus in Wiesbaden ist ein geeigneter Ort, um Gegensätze zu beobachten. Zwischen CDU und Grünen. Zwischen neuen Grünen und alten Grünen.

Anfang Januar haben hier Roland Kochs Leute Angela Merkels ersten großen Auftritt in diesem Wahlkampf inszeniert. Es gab Bier und Blechbläser, und als Merkel eintraf, brodelte der Saal. Bei den Grünen kommen die Zuschauer auf den letzten Drücker. Ein Grünen-Engagierter bittet um Spenden für die Partei, im Foyer laufen Radiospots, die Roland Koch im "Sendung mit der Maus"-Stil erklären, auf einem Foto haben sie ihm eine lange Nase ins Gesicht gebastelt, weil er doch so ein elender Lügner ist.

Die CDU hatte den Saal mit den Kronleuchtern und Marmorsäulen durch Krach und Stellwände zur Arena getunt. Jetzt bei den Grünen dudelt Kaufhausmusik, Lehrerinnen unterhalten sich, neben dem Rednerpult stehen Frühlingsblumen, dahinter Plakate der Spitzenkandidaten Tarek Al-Wazir und Kordula Schulz-Asche. Nichts wirkt, als würde hier gerade die Revolution gegen den CDU-Dämon vorbereitet. Aber kurz nach 19 Uhr flackern Blitzlichter im Foyer, es läuft Fleetwood Macs "Dont Stop", das war mal Bill Clintons Wahlkampfhymne. Vom Eingang her schiebt sich ein Ungeheuer durch den Saal, die Köpfe in Form von sechs Kameras sind auf die Mitte gerichtet, in der Joschka Fischer zufrieden lächelt.

Das Ungeheuer stoppt abrupt vor der Bühne, wo ebenfalls sechs Kameras warten, es spuckt einen schlaksigen jungen Mann aus, der sich hinters Rednerpult stellt und versucht, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. "Ich freu mich sehr, dass Joschka da ist", sagt Tarek Al-Wazir.

Er ist 37, Politologe, 23 Jahre jünger als Fischer. Er kann lustig über den Spitzenmann der hessischen Linkspartei und das Zentralkomitee in Berlin herziehen und gekonnt Kochs ausländerfeindliche Kniffe auseinandernehmen. Etwa die Plakate gegen "Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten". Seine Mutter, sagt Al-Wazir, sei eine geborene Gerhild Knirsch. Und die SPD-Chefin Andrea Ypsilanti eine geborene Dill. "Ein Plakat, das vor Dill, Knirsch und den Kommunisten warnt, hätte es nicht gegeben."

So eine Pointe kommt an, aber mit dem gestärkten weißen Hemd und dem braunen Anzug wirkt Al-Wazir trotzdem wie einer, der sich freiwillig zum mündlichen Abi meldet. Wenn er ruft, dass er es jetzt wirklich wissen will, fehlt dazu die Gestik, seine hohe Stimme füllt den Saal nicht aus.

Fischer sitzt in der ersten Reihe, zu seinen Füßen kampieren fünf Fotografen und ein Kamerateam. Er legt den Kopf schief, reibt mit dem Zeigefinger seine Unterlippe. Anfangs applaudiert er ungefähr jedes zweite Mal, dann häufiger. Später sagt er, dass er eine "großartige Rede" gehört habe, "mit wachsender Begeisterung". Irgendwie macht er die großartige Rede klein durch dieses Lob. Ist doch noch eine Eins geworden, Tarek.

Dann geht Fischer auf die Bühne. Er schimpft auf Koch, die Stimme kommt kratzig aus der Brust, als wäre er schon Wochen im Wahlkampf unterwegs. Er ist nicht so präzise wie Al-Wazir, aber er läuft rot an und kotzt die Worte über Koch raus. "Ausländerhetze", "Lügenpropaganda". Fischer haut aufs Pult, die Mikros zittern, die Lehrerinnen toben.

Es läuft gut für ihn, und das, obwohl ihm an diesem Montagabend die Gegner im Saal fehlen. Auf den Marktplätzen hat Fischer immer die Zwischenrufer geliebt, in den Parlamenten die Oppositionsleute. Roland Koch war so einer. Als Fischer hier in Wiesbaden Umweltminister war, hat Koch im Landtag den CDU-Fraktionsvorsitzenden gemacht. Man kann in alten Landtagsprotokollen nachlesen, wie gern sich der Grüne an ihm gerieben, wie er ihn als Hoffnungsträger der Jungen Union bespottet hat. "Meine Güte, Herr Koch!"

Sie waren immer ein Paar. Der 68er-Junge, der aus Schwaben in die Großstädte zog, und der Spießer, der immer in Eschborn geblieben ist. Der beliebte Außenminister und der missliebige Ministerpräsident.

Dass er jetzt zurückkehrt, das hat Daniel Cohn-Bendit den Reportern vorhin nochmal eingebimst, liege an der Beziehung von Fischer und Koch. Der alte Meister regt sich über den frechen Emporkömmling auf: "Das wird jetzt ausgetragen."

Koch ist zwar nicht im Saal, aber Fischer rockt sich trotzdem an ihm hoch. Das Kurhaus ist jetzt voll von den alten Gegensätzen. Grün gegen Schwarz, Fischer gegen Kohl, gegen Koch, gegen Töpfer, gegen Biblis.

Erstaunlich ist, dass ausgerechnet der ehemalige Außenminister das Publikum ins Jahr 2008 zurückholt. Er sagt, dass Merkel und die CDU eigentlich schon weiter gewesen seien in der Einwanderungsfrage, dass diese Volkspartei auch gebraucht werde zur Integration. "Roland Koch hat die CDU um Jahre zurückgeworfen", sagt Fischer. Es klingt, als müsste jetzt mal wieder Schluss sein mit der ganzen Zeitverschiebung.

Auf dem Weg zum Ausgang wird der Wahlkämpfer von einem alerten Jüngling aufgehalten. Er reicht Fischer sein neues Buch "Die rot-grünen Jahre" zum Signieren. Vermutlich weiß er nicht, dass er seinen Star damit wieder zum Rentner gemacht hat. "Yesterdays gone", heißt es in dem Stück von Fleetwood Mac. Gestern ist vorbei.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!