: Grüner Trägerverein gegen Deutsche Bank
■ Einstiges Symbol des Frankfurter Häuserkampfes ein Zankapfel zwischen der Deutschen Bank und der Stiftung „Nachbarschaftliche Träger“ / Luxusgästehaus oder Wohnungen für Besetzer / Entscheidung für Ende des Monats erwartet
Aus Frankfurt Reinhard Mohr
„Wir wollten dem Konsulat nur ganz friedlich einen Besuch abstatten“, erklärte Ali Tamari in der Hessenschau vom 25. November 1978 die Ereignisse; im Hörsaal VI der Frankfurter Universität, wo tausend Leute vor einem Fernsehapparat saßen, brach schallendes Gelächter aus. Wenige Stunden zuvor hatte eine Straßenschlacht von iranischen und deutschen Schah–Gegnern getobt, wie sie selbst für „Frankfurter Verhältnisse“ selten war. Eine ganze Polizei–Hundertschaft war „aufgerieben“ worden, vor dem amerikanischen Konsulat brannten umgestürzte Autos, die Straße war mit Pflastersteinen und Holzknüppeln übersät, Barrikadenreste und Tränengasschwaden überall. Und mittendrin das Haus Siesmayerstraße 6. Die Bewohner hatten, soweit sie nicht unter den Demonstranten waren, längst ihre Aussichtsplätze am Fenster verlassen und flüchtenden und verletzten Straßenkämpfern die Türe aufgemacht. Leider kam kurz darauf die Polizei hinterher... Fast acht Jahre später erlebte die „Siesmayerstraße 6“ ein Rendezvous ganz anderer Art. Am 8. September 1986 versammelten sich alte Häuserkämpfer und junge „Alternativunternehmer“, grüne Abgeordnete aus Stadt, Land und Ortsbeirat, schließlich die Dreieinigkeit von Bewohnern, Betroffenen und Berichterstattern auf dem großzügigen Balkon des neunzig Jahre alten Bürgerhauses. Ein opulentes Frühstücksbuffet verbreitete einen Hauch des diskreten Charmes, den dieses Haus schon immer auszeichnete. Doch damit soll jetzt Schluß sein. Die Deutsche Bank pocht nicht nur auf das Recht der frühen Akkumulation , sondern auch auf Gesetz und Eigentum. Die etwa zwanzig Bewohner der Siesmayer sollen raus und zwar endgültig - bis Ende September. Zwar ist noch keine Räumungsklage erhoben, aber sie wird vorbereitet für den Fall, daß die Verhandlungen zwischen den Mietern und der Bank scheitern. Die Bank bietet 300.000 DM Abfindung. Doch darauf wollen die Bewohner sich nicht einlassen, die zum Teil schon über zehn Jahre dort leben und das Haus selbst instandgehalten haben. „Daß das hier noch so aussieht, ist nicht der Deutschen Bank zu verdanken“, betonte Landtagsvizepräsident Messinger von den Grünen. Das benachbarte Anwesen Siesmayer 2–4 steht seit vielen Jahren leer und ist regelrecht verfallen. Dieses Haus und die Nummer 6 hatte die Deutsche Bank vor gut drei Jahren in einem rasanten „Dreiecksgeschäft“ für schätzungsweise elf Millionen DM erworben und damit die Stadtverwaltung vor einem delikaten Prozeß mit den Vorbesitzern bewahrt, die auf eine alte Zusage der Stadt zur Abrißgenehmigung und auf den Bau eines zwanziggeschossigen Büroturms bestanden. Für die hochdotierte „Rettungsaktion“ genehmigte die CDU–Administration der Bank im Gegenzug mehr Stockwerke für ihre beiden super–verspiegelten Wolkenkratzertürme. Ein zusätzlich versprochener Abriß zweier störender Häuser in umittelbarer Nähe der Bankzentrale wurde durch öffentlichen Druck gerade noch verhindert. Seitdem versucht die Deutsche Bank, alle Hindernisse für den „Ausbau der Siesmayer– Grundstücke zu Luxuswohnstätten“ beiseite zu räumen. „Ein starkes Stück Frankfurt“ - so sehen die Siesmayer Leute sich selbst und „ihr“ Haus. Im Jahre 1895 wurde es von der jüdischen Bankiersfamilie Dreyfus gebaut und beherbergte neben der Familie noch das Schweizer Konsulat. Nach dem 30. Januar 1933 wurde es „arisiert“ und gehörte fortan einem SS–Sturmbannführer Becker; die Dreyfus–Familie mußte in die Schweiz flüchten. Ende der sechziger Jahre tauchte das Haus dann wieder aus der Versenkung der Geschichte auf: als Spekulationsobjekt. Die städtische Wohnheim GmbH schloß mit dem Spekulanten einen Nutzungsvertrag zur Weitervermietung an Arbeiter und Studenten ab - die spätere Abrißgenehmigung des leerstehenden Hauses war die versprochene „Gegenleistung“. 1974 kündigte die „Wohnheim“ die Verträge, doch drei Studenten waren mit einer Beschwerde erfolgreich. Seitdem ist die Siesmayer ein Dorado für Mieter mit kleiner Kasse, aber geho benen Ansprüchen. Achtzig DM werden pro „Wohneinheit“ auf ein Sperrkonto gezahlt, und durch zähe, gleichwohl hedonistische Lebendigkeit ist es gelungen, die schon über ein Jahrzehnt andauernden Rechtsstreitigkeiten heil zu überstehen. Die Fluktuation hielt sich in Grenzen, und während ringsum im Westend „richtig“ besetzte Häuser reihenweise abgeräumt worden sind, hielten die „Siesmayers“ die Stellung mit List und Tücke. Das Haus blieb lange Zeit ein Residuum der Frankfurter Linken; dort diskutierte man mit Peter Brückner, redete mit ungarischen Filmemachern über den Geist der Utopie und beherbergte anderswo geräumte Hausbesetzer, feierte aber auch rauschende Feste mit Filmvorführung und Streichquartett im Garten. Ein bißchen Hautgout des Linksradikalismus aus alten Tagen. Doch die Zeiten ändern sich. Letzte Rettung versprechen sich die Bewohner der Siesmayer nun vom Parlament, genauer von den Grünen. Zweieinhalb Jahre hatten sie mit der SPD in Wiesbaden verhandeln müssen, um die Stiftung „Nachbarschaftliche Träger“ zustande zu bringen, deren „Organe“ im Laufe des Oktober einsatzbereit werden, wie der grüne Landtagsabgeordnete Jan Kuhnert berichtete. Intervention gegen Spekulation und Förderung vielfältiger Wohnformen sind die vorrangigen Stiftungszwecke; die Siesmayer kann sogar noch „Selbstverwaltung“ bieten. Daher steht sie auch schon auf der Liste der Projekte, die man aufkaufen will. Den Bewohnern der Siesmayerstraße 6 sitzt der „endgültige“ Räumungstermin am 30.9.1986 im Nacken - falls bis dahin keine ernsthaften Verhandlungen zwischen der Stiftung und der Deutschen Bank in Gang kommen. Diese will, so ist zu hören, die Siesmayerstraße 6 zu einem „Gästehaus“ umbauen. „Dazu braucht es keine Umstände“, sagen die Bewohner, „die Leute können kommen“.
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