: Grüner Stahl braucht starken Staat
Soll das Bremer Stahlwerk verstaatlicht werden, um den klimaneutralen Umbau doch noch zu realisieren? Eine entsprechende Idee der Linken ist noch nicht vom Tisch

Von Lotta Drügemöller
Das Bremer Stahlwerk wird nicht klimaneutral – vergangene Woche hatte der Konzern Arcelor Mittal seine Entscheidung veröffentlicht, in Bremen und Eisenhüttenstadt nicht in Direktreduktionsanlagen zu investieren, trotz einer milliardenschweren staatlichen Förderung für die beiden Werke.
Was genau der Ausstieg bedeutet, geht in der Analyse oft noch durcheinander. Vielfach wird gleichzeitig ein Debakel für Bremens Klimaziele und für die regionale Wirtschaft bedauert. Dabei ist streng genommen nur eins davon wahrscheinlich.
Das Bremer Stahlwerk ist zwar allein für 50 Prozent der CO2-Emissionen des Landes verantwortlich; ohne Direktreduktionsanlage und damit die Umstellung auf grünen Wasserstoff lässt sich Stahl nicht klimaneutral produzieren. Allerdings würde ein konventionell betriebenes Stahlwerk in der EU dank steigender Kosten für Emissionsrechte mittel- bis langfristig wohl nicht konkurrenzfähig sein und müsste schließen.
Die Entscheidung ist also für Bremer Arbeitsplätze interessanter als für die Landes-Klimaziele. Belanglos ist die Entscheidung aber auch aus Klimaschutzsicht nicht; schließlich wird weiterhin Stahl genutzt werden; wenn der nicht aus Bremen kommt, dann eben aus dem Ausland.
Auch dort gibt es Anstrengungen, die Industrie grüner zu machen: China baut erste Stahlwerke mit Direktreduktionsanlagen auf; aber der jeweils günstigste Stahl ist nach Expertenmeinungen auf absehbare Zeit noch der konventionell produzierte.
In die Frage nach den Strategien, um die Entscheidung noch abzuwenden, ist ein wenig Bewegung gekommen. Langsam wird klar: Die Politik hat noch nicht alles getan, um die Umstellung auf Wasserstoff zu erleichtern. Die erste Reaktion war vor allem eine Schuldzuweisung an den Konzern, der die förderwillige Politik lange hingehalten hatte.
„Enttäuscht“ und „verärgert“ zeigte sich der Bremer Senat. Schließlich hatte man vieles in die Wege geleitet: ein Sondervermögen für den Förderzuschuss, die Infrastrukturanschlüsse für grünen Wasserstoff und die schnellere Planung. Auch die oppositionelle CDU, die in einem Deal mit den Koalitionsfraktionen dem Sondervermögen für die Fördergelder außerhalb der Schuldenbremse zugestimmt hatte, argumentierte ähnlich: Man habe „gemeinsam mit dem Senat alles getan, um den Standort zu unterstützen“, sagt die neue Fraktionsvorsitzende Wiebke Winter.
Die Linke gab sich kämpferisch. Unter dem Titel „Kapitalismus nervt“ hatten Partei und Fraktion in einer gemeinsamen Presseerklärung kurzerhand die Verstaatlichung des Stahlwerks gefordert. Das öffentliche Interesse sei offenkundig: Schließlich müsse strategisch wichtige Produktion erhalten werden; Klimaschutz ist darüber hinaus Verfassungsauftrag.
Allerdings: Kapitalismus nervt – und ist manchmal kompliziert. Dass der Staat „alles getan“ hat, das scheint mittlerweile auch bei den Linken nicht mehr ganz so klar. So ganz sicher ist man sich nicht mehr, dass ein staatlich geführter Stahlkonzern die Transformation sicher bewältigen könnte.„Ich habe seit Ende vergangener Woche selbst eine steile Lernkurve hinter mir“, sagt Christoph Spehr, Sprecher der Partei.
Ein Parteitagsbeschluss von diesem Samstag liest sich daher viel zurückhaltender als die ursprüngliche Pressemitteilung: Von Vergesellschaftung ist noch die Rede, aber sie geht ein bisschen unter zwischen einer Vielzahl anderer geforderter Maßnahmen.
Aufgenommen werden damit von linker Seite ausgerechnet Argumente, die der belgische Konzernchef Geert van Poelvoorde zur Begründung seines Rückzugs ins Spiel gebracht hatte: „Selbst mit der finanziellen Unterstützung ist die Wirtschaftlichkeit dieser Umstellung nicht ausreichend gegeben“, hatte der in einem ersten Statement gesagt. Die europäische Stahlindustrie stehe „unter einem noch nie dagewesenem Druck, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten“ – bereits ohne zusätzliche Kosten für die Dekarbonisierung. „Die höchste Priorität ist derzeit, die Stahlnachfrage in Europa so wiederzubeleben, dass europäische Hersteller auch daran teilhaben können“.
Teuer ist die Stahlproduktion in Europa nicht nur durch die politisch erzeugten Kosten für die CO2-Emissionen, sondern auch durch den hohen Strompreis. Ein Industriestrompreis könnte hier für Abhilfe sorgen. Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) sagt mittlerweile: „Es geht um unsere industrielle Unabhängigkeit. Dafür brauchen wir verlässliche und bezahlbare Strompreise für die Industrie, klare grüne Leitmärkte und einen wirksamen Schutz vor Billigstahlimporten, ganz gleich ob konventionell oder klimafreundlich hergestellt.“
Rudolf Hickel, Bremer Wirtschaftswissenschaftler
Der linke Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel sitzt seit vielen Jahren selbst im Aufsichtsrat bei Flachstahl Salzgitter. „Im Prinzip braucht es jemanden, der einen zuverlässigen Planungshorizont für die nächsten zehn, zwanzig Jahre aufstellen und auch garantieren kann“, sagt Hickel. Das gelte für zuverlässige Abnahmen von grünem Stahl – etwa über staatliche Investitionen – aber auch über ein zuverlässiges Angebot von grünem Wasserstoff.
Ähnliches hatte die linke Bundeschefin Ines Schwerdtner schon ins Spiel gebracht: Eine Quote für grünen Stahl im Schienenbau etwa könnte den Konzernen eine Nachfrage für ihr teures Produkt garantieren.
Komplett vom Tisch ist die Option Verstaatlichung damit nicht bei der Linken, auf dem Landesparteitag hat sie es als „Vergesellschaftung der Produktionsanlagen“ noch in einen Parteitagsbeschluss gebracht. Ein Hinweis darauf, dass staatliche Anteile einen Unterschied machen, sieht Spehr in den anderen Stahlkonzernen, bei Salzgitter und Saarstahl Bei beiden hält das Land Anteile – und beide stehen weiter hinter der Investition in die neue Technologie.
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