Grüner Parteitag: Özdemir kommt, Konflikte bleiben
Am Wochenende wählen die Grünen Cem Özdemir zum Co-Parteichef. Doch es gibt auch Reizthemen: Teile der Basis wollen eine striktere Energie- und Friedenspolitik.
BERLIN taz Wenn am Freitag Grüne aus dem ganzen Bundesgebiet in Erfurt zum Parteitag zusammenkommen, lautet der Auftrag Nummer eins: Cem Özdemir am Samstag ein gutes Wahlergebnis verschaffen. Der 42-jährige Türkschwabe soll als Parteichef Reinhard Bütikofer ablösen, der mit Özdemir quasi die Plätze tauscht: Özdemir kommt aus dem EU-Parlament, Bütikofer möchte jetzt dorthin. Neben Özdemir will Ko-Parteichefin Claudia Roth im Amt bestätigt werden.
Da Roth, die Frau des Linkenflügels, zuerst gewählt wird, darf sie mit einiger Zustimmung auch vom Realoflügel rechnen. Der müsste sonst fürchten, dass der linke Flügel sich im folgenden Wahlgang an Özdemir rächt.
Wichtig für das grüne Binnenklima sind auch die weiteren Wahlen zum Bundesvorstand und zum Parteirat. So sähen viele vom Realoflügel gern die Migrationspolitikerin Melanie Schnatsmeyer im Bundesvorstand. Der gilt den Realos als linksdominiert, Özdemir könnte dort Unterstützung gebrauchen.
Doch ob die 36-Jährige den Junggrünen Malte Spitz aus dem sechsköpfigen Gremium verdrängen kann, ist unsicher. Der 24-jährige Münsteraner hat sich seit 2006 durch Fleißarbeit etwa in der Medienpolitik sowie dadurch einen Namen gemacht, dass er den Draht zu Bewegungen wie Attac erneuert hat.
Doch es geht nicht nur um Personalien. Inhaltlicher Streit ist vor allen in den Punkten Strom und Frieden zu erwarten. So unternimmt der energiepolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Hans-Josef Fell einen weiteren Versuch, das energiepolitische Profil der Grünen zu radikalisieren. Sein Antrag zur Energiewende benennt als grünes Ziel: "Im Jahr 2030 werden 100 Prozent des Stroms mit erneuerbaren Energien erzeugt."
Die Grünenspitze will jedoch keine derartig weitreichende Festlegung. Der Bundesvorstand möchte Fells Antrag aushebeln, indem er das energiepolitische Konzept der Grünen dagegen zur Abstimmung stellt. Darin liegt der anzustrebende Anteil der Erneuerbaren bis 2020 nur "defitiniv über 40 Prozent". Parteichef Bütikofer sagte zur taz: "Ich kann am Gras nicht ziehen, damit es schneller wächst. Wir müssen einen Weg beschreiten, den die Gesellschaft auch begehen kann. Energiepolitik ist kein grünes Selbstgespräch."
Doch hat Fell hinter sich immerhin eine ganze Reihe Abgeordneter gebracht, darunter die umweltpolitische Sprecherin der Fraktion Sylvia Kotting-Uhl sowie die Realissima Christine Scheel. Scheel sagte zur taz, sie halte in Energiefragen eine "ambitioniertere Politik" für sinnvoll. Fell erklärte, sein Ziel sei "überhaupt nicht unrealistisch".
Der rasante Aufstieg der erneuerbaren Energien zeige doch, dass ein Ausstieg aus Kohle und Gas schneller möglich sei als selbst von vielen Grünen gedacht. Im Übrigen sieht Fell sich auch nicht als radikal - schließlich verlangte etwa Horst Schiermeyer aus dem Kreisverband Görlitz, schon bis 2020 auf Erneuerbare umzusteigen.
Weiteres, wenn auch geringeres Ungemach droht der Grünenführung beim Thema Krieg und Frieden. So soll der kürzlich flügelübergreifend verfasste Bericht der Friedenspolitischen Parteikommission als Antrag durchgewinkt werden. Doch sieht etwa die Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden hier noch Nacharbeitungsbedarf.
Deren Sprecher Felix Pahl erklärte der taz, zwar sei die Arbeit in der Kommission "sehr fruchtbar" gewesen. Doch am Punkt Nato "ist eine Kontroverse übriggeblieben". Zwar fordern die Basis-Friedenspolitiker nicht mehr den Austritt aus der Nato. Doch möchten sie, dass der Parteitag die grüne Kritik an der Nato stärker betont als vom Bundesvorstand beabsichtigt: Langfristig solle die Nato ersetzt werden.
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