Grünen planen Programm: Verschärfter Streit über Wahlaussage
Im Mai soll der Grünen-Parteitag das Wahlprogramm absegnen. Im Mittelpunkt: Investitionen bei Klima, Gerechtigkeit und Bildung.
Nein, die Grünen sind keine Ampelpartei. Sie geben sich kein Ampelprogramm. Und sie führen auch keinen Ampelwahlkampf. So viel wollten die Parteichefs Claudia Roth und Cem Özdemir am Freitag klargestellt wissen, als sie der Presse das 76-seitige Werk "Der grüne Neue Gesellschaftsvertrag" vorstellten. Es ist das Bundestagswahlprogramm, das die Grünen auf dem Parteitag im Mai in Berlin beschließen sollen, um damit in einen sehr schwierigen Wahlkampf zu ziehen.
Denn einerseits formulieren die Grünen angesichts der Wirtschaftskrise ein Programm, das ökologische Standards setzt und ein gut Teil Umverteilung von unten nach oben verlangt. Andererseits wollen die Spitzengrünen auf demselben Parteitag auch eine "Wahlaussage" treffen, in der sie eine Koalition mit SPD und FDP, also eine "Ampel", als einzige realistische Machtoption für sich benennen. Darauf bestehen besonders die beiden Spitzenkandidaten, Renate Künast und Jürgen Trittin.
Sie werden davon allerdings noch die eigene Partei überzeugen müssen. Denn dort formiert sich gerade flügelübergreifender - weil wie bei den Realos rein taktisch motivierter - Widerstand gegen die Ampelansage. Am Freitag erklärte etwa ein Teil des schleswig-holsteinischen Landesverbands, er widersetze sich jeder Koalitionsaussage.
Die Basis kämpft eben lieber für die Sache als um einen Ministerposten für Guido Westerwelle. Die Sache des "grünen Neuen Gesellschaftsvertrags" aber ist im Großen und Ganzen links - und auch im Detail ganz sicher nichts für Wirtschaftsliberale.
Mit Investitionen in Klima, Gerechtigkeit und Bildung "versprechen wir, eine Million Arbeitsplätze zu schaffen", erklärte Özdemir am Freitag. Gedacht ist hier an Jobs im öffentlichen Nahverkehr, in der Wind- und Sonnenkraftindustrie, in der Kinderbetreuung und so weiter. Als Wink an die Unternehmer findet sich ganz vorn ein bisschen Zorn über "überflüssige Bürokratie oder unsinnige Dauersubventionen". Doch folgt zwei Absätze später das Bekenntnis zu Mindestlohn und - Achtung, Reizwort! - Verbandsklagerecht für Gewerkschaften. Spätestens hier ist die Unternehmerklientel wieder in die Flucht geschlagen.
"Der Casino-Kapitalismus hat abgewirtschaftet", beginnt das Kapitel zur Finanzkrise. Es formuliert recht weitreichende Einschränkungen des Börsenhandels. Gefordert wird die "Finanzumsatzsteuer", eine Steuer auf den Handel mit Finanzprodukten. Diese soll weiter reichen als die Tobinsteuer, um die herum sich die Globalisierungskritiker zu Beginn des Jahrhunderts scharten.
Wie schon im Wahlprogramm 2005 fordern die Grünen die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent. Im Unterschied zu 2005 soll diese Anhebung allerdings erst ab einem höheren Einkommen gelten. Hier wird die Mittelschicht inzwischen doch lieber wieder geschont. Nicht aber die Kapitalbesitzer: Ihnen würden Steuerfluchtmöglichkeiten genommen, außerdem müssten sie in die Gesundheits-Bürgerversicherung einzahlen.
Andererseits bleibt ihnen dieses Mal die Vermögensteuer erspart, die am Freitag in einem Satz mit dem Wort "populistisch" auftauchte. Stattdessen rechtfertigte Roth die nur noch geforderte zeitlich befristete "Vermögensabgabe" damit, dass diese "nicht an die Grenzen der Bundesratsbefassung stößt". Für den großen Rest des Programms scheint dieses Kriterium freilich nicht zu gelten.
Zwei Streitpunkte wirft der Bundesvorstand der Partei in den Alternativen A und B zum Zanken vor: Rente und Kindergrundsicherung. An diesen Stellen wird offenbar keine wahlkampfschädigende Auseinandersetzung befürchtet.
Die grüne Antwort auf die kommende Altersarmut steht seit Jahren aus. Die Rentenexpertinnen Irmingard Schewe-Gerigk und Biggi Bender fahren schon aus Rücksicht auf ihre rot-grüne Rentenpolitik einen gemäßigteren Kurs: Sie wollen Selbstständige ins gesetzliche System einbeziehen und Langzeitarbeitslose besser absichern. Andere, etwa der Neuabgeordnete Wolfgang Strengmann-Kuhn, fordern eine Bürgerversicherung in der Rente nach Schweizer Vorbild: Reiche zahlen viel, kriegen aber nicht viel mehr als die anderen.
In der Frage der Kindergrundsicherung stehen sich die Kinderpolitikerin Ekin Deligöz, unterstützt von Renate Künast, und die Bildungspolitikerin Krista Sager gegenüber, wobei Sager die Unterstützung der restlichen Grünenführung genießt. Deligöz und Künast - Letztere zog 2005 explizit als Kinderpolitikerin in den Wahlkampf - wollen eine eigenständige Kindergrundsicherung. Gut verdienende Eltern müssten die dazu geplanten 330 Euro versteuern. Sager dagegen verlangt vor allem mehr Unterstützung für Kinder aus armen Familien.
Die JungwählerInnen wollen die Grünen mit eigenständigen Kapiteln zu Kultur und digitalen Medien gewinnen. Inwiefern diese Zielgruppe sich über Parteiprogramme beugt, sei dahingestellt. Guido Westerwelle kommt als Vertragspartner für diesen "Gesellschaftsvertrag" jedenfalls nur unter einer Bedingung infrage: dass er sich als Außenminister um alles andere als Wirtschafts- und Sozialpolitik kümmert.
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