Grünen-Politikerin Künast über Frauenbewegung: "Es gibt nur einen Feminismus"
Vor 90 Jahren erkämpften sich Frauen das Wahlrecht. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast über renitente Wählerinnen, die Quote und warum ihr angesichts der Alphamädchen oft der Atem stockt.
taz: Frau Künast, vor neunzig Jahren gingen die deutschen Frauen zum ersten Mal zur Wahl. Aber sehr viele wählten Zentrum: die Partei, die gegen das Frauenstimmrecht war. Wie erklären Sie sich das?
Renate Künast: Machen wir uns nichts vor: Bis in die Siebzigerjahre hinein ist in deutschen Familien so gewählt worden, wie der Haushaltsvorstand es entschieden hat. Vielleicht gab es viele Ehemänner, die sagten: Wir wählen Zentrum, wie immer. Dazu kommt, dass Wahlentscheidungen immer aus einem Bündel von Motiven heraus getroffen werden. Viele christliche Frauen standen dem Zentrum nun mal näher als der SPD.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Die Grünen sind frauenpolitisch vorn, aber die christlichen Mütter in Niedersachsen bleiben bei der CDU. Die sprechen Sie einfach nicht an.
Das ist auch gar nicht mein Ehrgeiz. Ich will die Frauen ansprechen, die etwas Ähnliches wollen wie wir. Bei der gut gebildeten weiblichen Mittelschicht um 35 stagnieren die Zahlen unter unseren Wählerinnen. Denen wollen wir vermitteln: Wir kümmern uns nicht nur um Gleichstellung in der Wirtschaft, sondern eben auch um Vereinbarkeit von Kindern und Beruf.
Mit der Frauenbewegung in den 70ern wollten mehr Wählerinnen explizit Frauenpolitik. Die Grünen aber wurden zunächst mehr von Männern gewählt. Da hatten sie was verpasst, oder?
Nein. Wir waren klar eine feministische Partei. Heute sind so viele Frauen im Parlament, weil wir mit einer 50-Prozent-Quote vorgelegt haben und die anderen uns hinterhergelaufen sind.
Aber das Frauenstatut mit Quote kam erst 1987. Warum?
Nett gesagt: Wir haben durch die politische Praxis gelernt, dass Männer und Frauen anders kommunizieren, sich anders verhalten. Das führt dazu, dass Männer mindestens auf jeder Sitzung dominant sind. Deshalb kann man mit Quoten sicherstellen, dass Frauen sich nicht schon am Anfang des Weges verkämpfen.
Brauchen Sie das heute noch?
Ich persönlich brauche die Quote nicht mehr. Aber die Partei braucht sie immer noch, weil der Einstieg für Frauen nach wie vor nicht selbstverständlich ist.
Jüngere Frauen lehnen die Quote oft als peinlich ab.
Aber die jungen Frauen bei den Grünen sind offenbar so schlau, dass sie dieser dummen Ansicht nicht folgen. Richtig ist: Die jüngeren Frauen sind in einer anderen Lebenssituation als wir damals. Niemand schickt sie mehr Kaffeekochen. Aber man erklärt ihnen immer noch, dass Männer Chef werden müssen, weil die eine Familie zu ernähren haben.
Verstehen Sie, was die jüngeren Publizistinnen an der Generation Alice Schwarzer stört?
Seufz. Ich höre die jungen Frauen sagen: Alice Schwarzer spricht von allem Möglichen, aber nicht von mir. Bei so viel Egozentrik stockt mir schon der Atem. Aber ich muss zur Kenntnis nehmen, dass da eine Generation vor gläsernen Decken und Wänden steht - und dass Schwarzers Reden über Gewalt, Pornografie und den Islam an ihnen irgendwie vorbeigeht. Aber das Spiel "Wer ist die richtige Feministin?" hatten wir schon, das fange ich nicht wieder an. Es gibt nur einen Feminismus. Der auf verschiedenen Feldern tätig ist.
Was ist die feministische Agenda der Grünen?
Wir brauchen zum einen ein Ziel, das auch symbolische Kraft hat. Das ist für mich eine 40-Prozent-Quote für die Aufsichtsräte. Frauen sollen schnell ganz oben sichtbar werden. Der Vorteil von Aufsichtsräten ist, dass es genügend qualifizierte Kandidatinnen gibt, wie etwa die vielen Wissenschaftlerinnen von Unis und Fachhochschulen.
Das wäre die Elite. Aber was bieten Sie Erika Mustermann an?
Nach dem neuen Unterhaltsrecht will der Staat, dass Frauen ihre Existenz selbst sichern. Dafür müssen wir schleunigst den Rahmen schaffen. Das geht nicht mit Minijobs. Wir produzieren gerade die nächste Generation weiblicher Altersarmut. Deshalb brauchen wir Gleichstellung in der Wirtschaft.
Warum ist das Thema in der Öffentlichkeit nicht präsent?
Fragen Sie Herrn Schröder. Davon, dass er das Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft damals versenkt hat, hat sich die SPD nie wieder erholt. Wie soll sie von der Leyen kritisieren, wenn sie selbst nichts vorzuweisen hat?
Sie hatten lange einen virtuellen Vorsitzenden, der sehr stark als Alphatier wahrgenommen wurde. Hat das Ihren Führungsstil beeinflusst?
Ich kann und will als Frau nicht einfach einen männlichen Führungsstil übernehmen. Ich beobachte zum Beispiel, dass Männer sich gerne dann mit Kampfgeheul in Konflikte stürzen, wenn die schon so gut wie gewonnen sind. Sie sind also eher risikoscheu. Ob man das eins zu eins übernehmen sollte? Ich denke auch, dass die Zeit dieser Art von Alphatieren durch ist. Die Dinge sind komplizierter und schneller geworden. Wie die Musik. Rock n Roll ist definitiv vorbei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen