Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter: Eine zarte Seele
Fachkundiger Botaniker, Bayer, Feingeist: Der Spitzenpolitiker der Grünen kommt in der Presse ziemlich schlecht weg. Zu Recht?
Was tun, wenn eine Bande Banditen einen unter freiem Himmel mit vorgehaltenen Gewehren ausrauben will? Mir fällt keine Antwort ein. So was pflegt in unserer Lebenswelt schließlich nicht vorzukommen. Was aber macht es mit einem, wenn man es erlebt hat?
Anton Hofreiter hat diese Erfahrung. Auf seinen Reisen in Südamerika ist es ihm geschehen, mehrfach, wie er sagt. Er berichtet davon als Antwort auf meine Frage, wie ihn der Stress der letzten Monate verändert habe. Seit Herbst 2013 ist er Fraktionsvorsitzender der Grünen. Und seither hat der Neuling auf den Frontplätzen der deutschen Politik ziemlich schlechte Presse.
Jeder Auftritt von ihm wird skeptisch beäugt, das Wort „hölzern“ macht die Runde. Die Vergleiche mit seinem rhetorisch geschickten Vorgänger Trittin fallen überwiegend negativ aus. Manch einer wäre bei dem heftigen journalistischen Gegenwind eingeknickt. Hofreiter – natürlich – nicht. Kann einen denn nach solch lebensbedrohlichen Erfahrungen noch irgendetwas wirklich aus der Fassung bringen? Das jedenfalls ist die Version, die er mir präsentiert.
Ich bin überrascht über die Massivität, mit der die Idee ausgeräumt werden soll, eine monatelange Negativkampagne könne an den Nerven zehren. Da präsentiert sich Hofreiter bärig und mit breiter Brust als robuster, grundgelassener Bayer: Mia san mia – wer kann uns schon was?
Mit Erzkonservativen, die auf die Straße gehen, begann in den USA der Aufstieg einer rechten Bewegung. Sind Anti-Homo-Proteste und AfD erste Anzeichen einer deutschen Tea Party? Eine Spurensuche in der taz.am wochenende vom 23./24. August 2014. Christine Preißmann ist Autistin und Psychotherapeutin. Ihre Patienten profitieren. Und: Der rote Kretschmann: Ein Portrait von Bodo Ramelow, der vielleicht der erste Ministerpräsident der Linken wird. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Lust am Widerspruch
Vielleicht noch stärker als das Bayrische hat ihn seine naturwissenschaftliche Ausbildung geprägt. Die Mischung aus beidem bestimmt seinen Kommunikationsstil, in der erkennbaren Lust am Widerspruch finden sie zusammen. Lange Zeit kommt kaum eine Frage von mir bei meinem Gesprächspartner an einem lustvoll vorgetragenen bayrisch-fundamentalistischen „Nein“ vorbei.
Nur um gleich im Anschluss zu erklären, dass die Ablehnung streng wissenschaftlich zu verstehen ist: Nein, so wie die Frage gestellt ist, sei es gewiss nicht, aber … Die von mir vorgeschlagene Formel „differenzierende Negation“ findet Hofreiter lustig und zustimmungswürdig.
Meine Erkundigung, wie er es denn mit der Religion halte, trifft indes auf ein geradezu überlebensgroßes Nein: „Ich bin Naturwissenschaftler!“ Ein Bekenntnis-Satz wie ein Hammerschlag. Hofreiters Haltung ist von existenzieller Entschiedenheit, nicht zuletzt weil seine Überzeugungen wissenschaftlich untermauert sind. Wenn man einmal die Vielfalt unserer biologischen Lebenswelt, sei es als fachkundiger Botaniker oder auch nur in der Fülle ihrer Schönheit, kennengelernt habe, könne man nur ein Grüner sein: einer, der sich dafür einsetzt, die Grundlagen unseres Lebens mit allen Mitteln zu erhalten. So sein glaubwürdiges politisches Credo.
Die Ordnung der Dinge
Hofreiter hat die schöne und vielfältige wie bedrohte Natur auf ausgedehnten Reisen insbesondere in Lateinamerika unter beiden Perspektiven wahr- und in sein politisches Portfolio aufgenommen. Seit Jugendtagen fasziniert ihn, wie Leben entsteht – ausschlaggebend für seine Entscheidung, Chemie zu studieren und zur Biologie zu wechseln. Als Alternative hätte er sich ein Philosophiestudium vorstellen können. „Warum ist die Welt so, wie sie ist?“ lautet die Frage, in der sich Natur und Geist treffen. Er wiederholt sie, um ihr Gewicht zu geben. Es geht um nicht weniger als die Ordnung der Dinge.
Der promovierte Botaniker hat nicht nur gelernt, die Pflanzenwelt nach festen Klassifikationssystemen zu ordnen. Kaum dass wir am Tisch in seinem seltsam anonym wirkenden Berliner Büro Platz genommen haben („es gibt Wasser, es gibt Apfelsaft und Wasser ohne Sprudel“), sehe ich mich selbst auf der Grundlage äußerer Merkmale kategorisiert.
Ich solle mir bloß nicht einbilden, was Besonderes zu sein mit der „klassischen uniformierten Durchschnittskleidung des gehobenen Akademikers – Anzug, Hemd und Krawatte“. Ich bräuchte mich in der peer group doch nur mal umzuschauen: „Da sind alle exakt so gekleidet.“ Das gelte selbst für meine langen Haare. Wissenschaftlern sei „das halt gestattet“.
Ich bin überrascht, wie genau Anton Hofreiter mein Leben kennt. Zweifellos ist er ein kontrollierender, ja durchaus misstrauischer, zum Rivalisieren neigender Mensch. Was gewiss nicht nur an den schlechten Erfahrungen der letzten Zeit liegt. Der weitgereiste Grüne hat etwas zu verstecken. Etwas, das auf der politischen Bühne leicht zum Fallstrick werden kann: eine zarte Seele. Viele würden es dem ach so robusten, manchmal beim Reden deftig aufs Pult trommelnden, vermeintlich emotional unerschütterlichen und politisch kompromisslosen Oppositionsführer nicht zutrauen: Im grünen Problembären schlägt das Herz einer lyrischen Nachtigall.
Den Faust in der Tasche
Als wir auf Literatur zu sprechen kommen, ändern sich schlagartig Ton und Puls unseres Gesprächs. Ob ich die „Büchergilde Gutenberg“ kenne? Mein Kopfnicken scheint die uniformierte Durchschnittskleidung wettzumachen. Mit den wunderschönen Ausgaben dieser Buchgesellschaft verbinden sich bei Hofreiter prägende Lektüreerfahrungen seiner Jugendzeit.
Plötzlich weicht das Misstrauen einem sympathischen jungenhaften Eifer. Einem Eifer, der so weder bei den Erzählungen über seine Jugendkarriere als Torwart selbstorganisierter Fußballmannschaften („Ich bin kein Vereinstyp“) noch in den Erinnerungen an die Münchner Kneipenszene und Isarpartys, ja nicht einmal bei der Geschichte seines frühen politischen Engagements spürbar war – schon mit 14 Jahren besuchte er Veranstaltungen der Grünen. Erst als es um B. Traven, Brecht, Kafka, Borchert und Kästner, um Pablo Neruda und García Márquez geht, kommt ein Ton der Begeisterung auf. Und, natürlich, Goethe.
Plötzlich rezitiert Hofreiter den Mephisto-Monolog. Bei der Stelle über den Geist, der stets verneint, muss ich ein bisschen grinsen: Wer könnte es glaubwürdiger vortragen? Der „Faust“ ist für Anton Hofreiter seit seinen Jugendtagen eine Art Vademecum. Er kennt ganze Passagen auswendig, ebenso Lyrik: „zur damaligen Zeit so 50, 100 Gedichte“.
Noch heute führt er ein Notizbuch mit sich, in das er Gedichte schreibt, die ihm besonders gefallen. Sie sind für ihn „eine ganz direkte, emotionale Art, Probleme anzusprechen, in der grundlegende Fragen sehr knapp und prägnant auf den Punkt gebracht werden“.
Empfindsamkeit und Ruhe
Theater hat er früher gespielt und viel gemalt, Aquarelle vor allem. Ich bin verblüfft, mit welcher Leidenschaft er davon spricht, wie das Zeichnen die Augen für die Wahrnehmung der komplexen Realität öffne: Es sei etwas, um zur Ruhe zu kommen, und es setze zugleich Ruhe voraus. So hat er es auf seinen Reisen, bei denen er immer die Malutensilien dabeihatte, gelernt: „Um gut zeichnen zu können, müssen Sie eigentlich schon eine Woche abgeschaltet haben.“ Wenig schule die „Empfindsamkeit für die Umgebung“ ähnlich stark. Die dazugehörige Ruhe fehlt dem Profipolitiker heute.
Trotz seines frühen Engagements hat er sich erst spät dazu durchgerungen, hauptberuflich Politik zu treiben. Ob er es bereut? Ich verzichte auf die Frage, weil ich des „Neins“ sicher bin. Aber sein Hinweis auf die Empfindsamkeit als grundlegende Haltung zur Welt rührt an ein Problem, das sich gerade den glaubwürdigsten Politikern stellt: Was verliert man in der Tretmühle des Tagesgeschäfts – allen narzisstischen Gewinnen zum Trotz?
Anton Hofreiter ist in dieser Hinsicht eine exemplarische, tragisch unzeitgemäße Gestalt. Er steht in seinem persönlichen Bekenntnis zu fundamentalen ökologischen Werten für eine Rückbesinnung der Grünen auf ihre ursprünglichen Werte. Aber unter dem gnadenlosen Gebot des Erfolgs, der seiner Partei bis vor Kurzem sicher schien und nun grundsätzlich fraglich geworden ist.
Hofreiters ganzes Temperament steht für konsequente Opposition; eine Form der Politik, der es fremd ist, nach kompromisshaften Erfolgen zu schielen. Nur ist das nicht mehr der Anspruch der Partei, die er anführen, im Klartext: möglichst schnell in die Regierung führen soll. Hofreiters Manko ist der Mangel an Zynismus. Er wird Schwierigkeiten haben, den Spagat zwischen wertegeleitetem Widerspruch und taktischer Zustimmung hinzukriegen.
Strategie der Zuspitzung
Ein Sachpolitiker von Gnaden, fleißig, präzise, kenntnisreich – als Leiter des Verkehrsausschusses heimste er Lob von allen Seiten ein – ist er durchaus „anschlussfähig“, offen für andere Optionen als das von ihm favorisierte Rot-Grün. Doch bleibt die Frage, ob er der richtige Mann dafür ist, die Partei für eine schwarz-grüne Koalition vorzubereiten: der wahrscheinlich einzig realistischen Möglichkeit, in absehbarer Zeit in Regierungs-, sprich Gestaltungsverantwortung zu kommen.
Hofreiters Strategie, die Konfrontation mit den Latino-Banditen zu überstehen, war übrigens, die Lage zuzuspitzen. Er gab dem Anführer zu verstehen: Egal, wie groß deine Übermacht ist, du bist im Ernstfall garantiert dran.
Botaniker, sagt Hofreiter lächelnd, hätten bei ihrer Arbeit ja immer etwas Scharfkantiges in der Hand. Und das sei im Nahkampf zweifellos das bessere Mittel als eine Flinte. Für die Räuber scheint das plausibel gewesen zu sein. Es wäre albern, Hofreiter zu unterstellen, er würde diese krasse Erfahrung auf seine parlamentarische Arbeit übertragen. Aber es entspricht seinem Charakter. Jedenfalls der einen, der offenkundigen Seite. Es bleibt abzuwarten, ob er die andere, einfühlsame und empfindsame, stark genug machen kann, um aus der aktuell gegebenen Konfrontation Möglichkeiten für zukunftsweisende Kooperationen entwickeln zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht