Grüne nach Berlinwahl: Der Traum ist aus
5 Prozent mehr und doch verloren: Die Kandidatur Renate Künasts weckte himmelhohe Erwartungen. Jetzt sind die Grünen in der Realität gelandet.
BERLIN taz | Renate Künast sieht müde aus, als sie in rotem Blazer vor ihre Parteifreunde tritt, um das Ergebnis zu kommentieren. Sie beglückwünscht ihre WahlkämpferInnen, schildert, wie sie fünf Jahre für die Abwahl des rot-roten Senats gekämpft hätten. "Ihr habt gefightet", ruft sie in die applaudierende Menge, die dicht gedrängt im Festsaal Kreuzberg steht, mitten im Berliner Urkiez der Grünen. "Und das eine habt ihr geschafft."
Rot-Rot, wenigstens dafür reicht es nicht mehr. Was sie nicht geschafft haben, deutet Künast nur an. Denn für die Grünen ist es ein zwiespältiges Ergebnis. Von 13,1 Prozent bei der vorherigen Wahl auf knapp 18, das ist ein Sieg.
Künasts Problem ist nur, dass sie nicht an ein paar Prozentpunkten mehr gemessen wird. Sondern am Platzen eines grünen Traums. Selten war die Partei mit so großen Hoffnungen in einen Landtagswahlkampf gestartet. Vor einem knappen Jahr war Künast angetreten, Klaus Wowereit aus dem Amt zu jagen, ihre Partei lag in Umfragen bei 30 Prozent, das Grüne Rathaus schien zum Greifen nah. Die Erwartungen in ihrer Partei und in den Medien waren himmelhoch.
Vorläufig amtlich (Erg. 2006)
SPD: 28,3 (30,8)
CDU: 23,4 (21,3)
Grüne: 17,6 (13,1)
Linke: 11,7 (13,4)
Piraten: 8,9 (0)
NPD: 2,1 (2,6)
FDP: 1,8 (7,6)
Angesichts dessen ist Künast krachend in der Realität gelandet. Ihr Ergebnis liegt in einer extrem Grünen-affinen Stadt sogar noch unter dem Bundestrend, sie schaffte nur Platz 3 hinter der bräsigen CDU. Eine strahlende Gewinnerin sieht anders aus. Dennoch ist wahrscheinlich, dass Wowereit mit den Hauptstadt-Grünen regiert. Der Fraktionschef der Berliner Grünen, Volker Ratzmann, bringt seine Partei am Abend schon in Stellung. Wowereit müsse sich jetzt entscheiden, sagt er: "Mit den Grünen in die Zukunft oder mit der CDU zurück in die 90er zu Diepgen und Landowsky." Eberhard Diepgen und Klaus-Rüdiger Landowsky, das waren Protagonisten der großen Koalition, die die Stadt in den 90ern lähmte.
Krampfhaft kämpfende Künast
Die eine Ursache für Künasts Drama gibt es nicht. Im Wahlkampf kamen Pech - etwa in Gestalt betrunkener Wahlkampfmanager -, aber vor allem massive strategische Fehlplanungen und Schwächen der Kandidatin zusammen. "Aus diesem Wahlkampf wird der ganze Laden viel lernen", schwante es der Parteispitze schon vor Wochen.
Zuallererst der Kandidatin selbst. Die krampfhaft kämpfende Künast kam gegen den aufreizend entspannten Wowereit einfach nicht an. Sie wird - wie angekündigt - nicht in die Berliner Landespolitik gehen, sondern Fraktionsvorsitzende im Bundestag bleiben. Doch die Rückkehr zum Status quo ist unmöglich. Künasts Ausflug hat die Gewichte im Kräfteverhältnis des grünen Führungsquartetts im Bund verschoben. Sie reiht sich geschwächt neben den beiden Parteivorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir und ihrem Amtskollegen Jürgen Trittin wieder ein.
Besonders Trittin profitiert. Während Künast in Tempelhof oder Friedrichshain Flyer verteilte, profilierte er sich als starke Stimme in der Eurokrise und Wortführer der Opposition im Bundestag, immer wieder zerlegte er rhetorisch die Politik der Kanzlerin, zog genüsslich über die Unfähigkeit ihres Wirtschaftsministers her.
Auch die Partei wird Lehren aus Berlin ziehen. Eine der wichtigsten ist, wie verstörend in der Wählerschaft die Aussicht auf eine Koalition mit der CDU wirken kann. Künasts erklärtes Ziel, Regierende werden zu wollen, war am Ende nur noch mit der CDU zu verwirklichen, was linke WählerInnen scharenweise zur SPD oder den Piraten trieb. Dieser Effekt erwies sich als Falle für Künast. Und half den Piraten zum ersten Einzug in ein Landesparlament in der deutschen Geschichte überhaupt.
Grüne hatten sich mehr erhofft
"Wegen des Bürgermeisteramtes auf Grün-Schwarz zu beharren war der Genickschuss", analysiert ein Stratege in der Parteizentrale vor einigen Tagen. Und: Das Bekenntnis Künasts zu Rot-Grün zehn Tage vor der Wahl machte es nur schlimmer. Im Fernsehduell mit Wowereit wirkte es wie ein panischer Rückzieher, der nur darauf zielte, die Verschreckten zurückzuholen.
Entsprechend klang der Jubel im Festsaal Kreuzberg etwas bemüht, als die ersten Hochrechnungen über den Bildschirm liefen. Auch Landeschef Daniel Wesener applaudiert, verzieht dabei aber keine Miene. "Das beste Ergebnis, das wir in Berlin je hatten", kommentiert er. Und schiebt nach: "Aber es bleibt natürlich hinter den Erwartungen zurück." So geht es wohl den meisten hier.
Eine weitere Lehre wird deshalb sein, Erwartungen von Öffentlichkeit, Parteifreunden und Medien vorsichtiger zu managen und rechtzeitiger herunterzudimmen. Die euphorische Ankündung vor einem Jahr, Wowereit das Rathaus abzunehmen, sieht mancher Grüner im Nachhinein als Fehler - weil sie unterschätzte, wie stark die SPD in der Stadt verankert ist, wie stark der Sozialdemokrat auf der Straße wirkt, wie wenig aussagekräftig frühe Umfragen sind.
Auch wenn es im Moment nicht so aussieht, als wollten die Grünen jemals einen Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl küren, nach dieser Wahl werden sie es sich noch besser überlegen. Wahr ist, dass diese Wahl ein für die Grünen sensationelles Jahr beendet: In Baden-Württemberg übernahmen sie die Regierung, in Sachsen-Anhalt zogen sie in den Landtag ein und verdoppelten ihr Ergebnis, in Rheinland-Pfalz verdreifachten sie es und regieren mit der SPD, in Mecklenburg-Vorpommern schafften sie es zum ersten Mal ins Parlament. Wahr ist aber auch, dass in diesem letzten Sieg ein Scheitern liegt.
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