Grüne in Berlin: "Politik aus Leidenschaft"
Die Linke Antje Kapek will neben Ramona Pop Fraktionschefin der Grünen-Fraktion werden, die nach einem Jahr wieder eine Doppelspitze hätte.
taz: Frau Kapek, Sie sind jetzt also die große Versöhnerin, die Heilsbringerin, die in der Grünen-Fraktion allen Flügelstreit zwischen Linken und Realos vergessen machen soll.
Antje Kapek: Nein. Ich bin vor allem eine Abgeordnete, die seit einem Jahr Mitglied des Parlaments ist und die sich jetzt entschieden hat, gemeinsam mit Ramona Pop für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren. Darauf habe ich Lust, und dazu gehört für mich natürlich auch, Verantwortung für die ganze Fraktion zu übernehmen.
Seit einem Jahr Mitglied des Parlaments – genauer wäre: erst seit einem Jahr. Wie wollen Sie nach so kurzer Zeit des Einlebens und Einarbeitens all den Erwartungen gerecht werden?
Man kann nie immer allen Erwartungen gerecht werden. Aber das ist auch nicht notwendig. Der Versöhnungsprozess in der Fraktion hat doch schon vor vielen Monaten begonnen. Die Fraktion ist seit langem wieder zur ganz normalen Arbeit zurückgekehrt.
Der große Graben tat sich 2011 auf, weil der linke Flügel sich nicht ausreichend im Fraktionsvorstand vertreten sah. Wenn Sie jetzt diese Rolle ausfüllen sollen – was macht Sie so links, außer dass Sie in Kreuzberg wohnen?
Am Dienstag, den 30. Oktober, wählt die Grünen-Fraktion ihre neue Doppelspitze. Antreten werden Amtsinhaberin Ramona Pop - und Antje Kapek. Schon mangels Gegenkandidaten gilt für beide eine Mehrheit der 29 Fraktionsmitglieder als sicher.
Pop führte die Fraktion seit November allein, nachdem ihr Ko-Vorsitzender und Realo-Kollege Volker Ratzmann auf Druck des linken Flügels zurücktrat. Der fühlte sich nicht repräsentiert, nachdem ihr Kandidat Dirk Behrendt keine Mehrheit fand - und ging öffentlich auf Konfrontation.
Kapek ist in der Fraktion flügelübergreifend anerkannt, gilt als moderate Linke und Vermittlerin. Realos wie Linke in der Fraktion hatten Kapeks Kandidatur Ende September als "gute Lösung" gelobt. (ko)
Ich wohne nicht nur dort, ich mache dort auch seit vielen Jahren Politik und war dort lange Fraktionsvorsitzende. Weil die Grünen im Bezirk regieren, habe ich eine Vorstellung davon, wie anders die Uhren ticken, wenn man in Regierungsverantwortung ist – dahin wollen wir ja für ganz Berlin. Ich wurde übrigens von vielen Grünen in Fraktion und Partei gebeten, zu kandidieren.
Kam diese Unterstützung nur vom linken Flügel oder aus der ganzen Breite der Partei?
Aus der gesamten Partei.
Wie passt Ihr Kreuzberger Kollege Dirk Behrendt in das künftige Machtgefüge? Der wäre 2011 auch gern Fraktionschef geworden, sein knappes Scheitern löste den Streit aus.
Dirk Behrendt hat mich im Vorfeld unterstützt und freut sich sehr über meine Kandidatur.
36, wurde in Kreuzberg geboren und lebt dort heute noch. Die Geografin ist seit 2005 Mitglied der Grünen, letztes Jahr wurde sie ins Abgeordnetenhaus gewählt. Ihre Schwerpunkte liegen in der Stadtentwicklung und Umwelt.
Haben Sie keine Angst, dass auch nach Ihrer Wahl viele weiter in Behrendt und nicht in Ihnen den führenden Kopf der Linken sehen?
Nein. Angst ist ein schlechter Berater. Ich habe Lust auf die neue Aufgabe, ich freue mich auf die Arbeit mit der Fraktion und mit Ramona Pop in der Doppelspitze. Ich mache Politik aus Leidenschaft – und ich habe ein Ziel.
Welches? Die „mission impossible“, den Flügelstreit auf Dauer beizulegen?
Die Mission ist ganz klar: Wir wollen mit vereinten Kräften auf die Defizite der rot-schwarzen Koalition hinweisen und dabei ökologischere und sozialere Alternativen anbieten. Egal, ob bei den Themen Mieten, Verkehr oder Bildungspolitik. Da sind wir 29 in der Fraktion uns einig.
Warum kehrt Ihre Fraktion eigentlich zur Doppelspitze zurück? Außer in Bayern haben sich die Grünen in allen Landtagen davon verabschiedet.
Im Bundesvorstand haben wir eine Doppelspitze, in der Bundestagsfraktion und im Europaparlament auch. Sie hat sich auch immer ausgezahlt. Sie ist befruchtend, weil sie die Vielfalt der Grünen darstellt. Zudem steht es so in unserer Fraktionssatzung. Und darum stand die Doppelspitze dauerhaft gar nicht zur Disposition.
Aber es hat doch in den vergangenen zwölf Monaten mit Ramona Pop allein an der Spitze auch gut geklappt.
Ja. Und ich glaube auch, dass sie das auch weiter gut gemacht hätte. Aber sie hat sich ja selbst für eine Doppelspitze ausgesprochen. Und es gab einen großen Wunsch in Partei und Fraktion, dabei zu bleiben.
Wowereit wackelt wegen des Flughafens, Henkel ist wegen der NSU-Affäre unter Druck. Wie viel Zeit geben Sie der rot-schwarzen Koalition noch?
So wenig wie möglich. Wowereit wackelt ja auch, weil bei ihm die Luft raus ist.
Falls die Koalition bricht: Stehen die Grünen bereit, einzuspringen?
Die Grünen stehen immer bereit, Verantwortung in dieser Stadt zu übernehmen.
Als Ersatzpartner der SPD oder nach Neuwahlen?
Das hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab. Wir haben immer gesagt, dass wir mit denen zusammenarbeiten, mit denen unsere Inhalte zusammenpassen.
Wie stehen Sie als Parteilinke denn zu einer Zusammenarbeit mit der CDU?
Die Zusammenarbeit mit einer CDU, die sich inhaltlich nicht klar von der Politik eines Diepgen und Landowsky abgewendet hat, kann ich mir nur schwerlich vorstellen.
Aber statt der Diepgens und Landowskys prägen heute doch die Czajas und Heilmanns die CDU.
Da vergessen Sie Innensenator Henkel, der erst noch zeigen muss, wie ernst er die Aufklärung in der schrecklichen Nazi-Mordserie tatsächlich meint. Da haben wir als Grüne viel Grund zur Kritik am CDU-Senator.
Sie sind Grüne zweiter Generation, Ihr Vater Frank saß von 1987 bis 1989 im Abgeordnetenhaus. Renate Künast kennt Sie, seit Sie vier sind. Bei anderen Parteien sind solche Familienbande nicht unüblich – siehe von der Leyen, Lambsdorff oder Strauß-Tochter Hohlmeier. Hilft das auch bei den Grünen?
Mir hilft das nicht und mir schadet das nicht. Mein Vater hat mit der Politik aufgehört, als ich noch jung war. Mich haben vor allem die vielen gemeinsamen politischen Diskussion geprägt.
Die Fraktion Ihres Vaters sieht auf alten Bildern so aus, wie man sich so richtige Alternative vorstellt – langhaarig und etwas zottelig. Wie findet es Ihr Vater, dass seine Tochter im Businesskostüm im Parlament sitzt?
Er würde das wahrscheinlich nicht anziehen. Aber selbst, wenn ich in einem alternativen Umfeld aufgewachsen bin, ist es mir viel wichtiger, durch Worte als durch Kleidung aufzufallen.
Und wie kommen Sie heute mit Ihren Eltern aus, wo Sie jetzt so anders leben als sie?
Sehr gut. Man kann sich auch gut verstehen, wenn man unterschiedliche Lebenskonzepte verfolgt. Das kann sehr produktiv sein. Unsere Fraktion zieht ihre Stärke genau aus dieser Vielfalt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut