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Grüne UrwahlAlles ganz toll, ja dann tschüss

Bei der Vorstellung der Spitzenkandidatenkandidaten vor der grünen Berliner Parteibasis ist alles an Bord. Die wichtigen strategischen Fragen aber fehlen.

Ein paar Gedanken wären ganz gut: Kandidatenkandidaten bei der grünen Urwahlvorstellung. Bild: dapd

BERLIN taz | Die abgrundtiefe Menschlichkeit der Grünen zeigt sich auch in ihrem Demokratieformat „Urwahl“. Zwar ähnelt es frappant jenen Casting-Shows, in denen sich Kandidaten mit absonderlichsten Talenten ihren Bedarf an Öffentlichkeit erfüllen. Doch werden sie bei den Grünen selbstverständlich nicht weggegongt oder von einer Jury verhöhnt.

Würmer müssen offenbar auch nicht gegessen werden. Selbst wenn einer das Mikro mit zittriger Hand kaum halten kann und keinen Satz zu Ende bekommt – von Gedanken sollte man besser nicht sprechen –, so wärmt ihn am Ende doch freundlicher Beifall.

Es sind 15 Kandidaten, die sich um zwei Plätze als Grünen-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl im kommenden Jahr bewerben, vier sind Profis, elf kommen aus dem Herzen der Partei. Und als hätte ein abgefeimter Privatsender an der Basis gecastet, ist alles dabei: der seit 1999 empörte Radikalpazifist. Der junge Grüne, der mit sanfter Stimme für Verwirklichung der Utopien wirbt. Der Opa-Grüne, der damals Herbert Gruhls „Ein Planet wird geplündert“ gelesen hat. Der Baden-Württemberger, der wegen Winfried Kretschmann eingetreten ist. Der Freak, der „die Hauptstadt grüßt“. Die laute und aufgeregte Post-68erin, die „mit Empathie für die Menschen von Hindelang bis Cottbus“ kämpfen will und gegen die Bösen, also Schwarz-Gelb und viele andere Männer.

Die Urwahl

Das Ziel: Die Grünen suchen zwei SpitzenkandidatInnen für die Bundestagswahl im Herbst 2013. Sie sind die erste Partei in Deutschland, die ihre Basis darüber abstimmen lässt.

Die Kandidaten: 15 Grüne haben sich beworben: Die Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Renate Künast und Jürgen Trittin, die Parteichefin Claudia Roth, die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt sowie elf Männer von der Basis.

Die Werbetour: Seit Freitag und noch bis Ende Oktober touren die KandidatInnen zu elf Auftritten im ganzen Land. Der dritte Termin ist am Samstag in Leipzig, der vierte am Sonntag in Bochum.

Das Verfahren: Die knapp 60.000 Parteimitglieder erhalten Anfang Oktober ihre Wahlunterlagen. Sie dürfen bis zum 30. Oktober zwei Stimmen abgeben, aber höchstens einen Mann wählen.

Der Ausgang: Ausgezählt wird bis 9. November. Gewählt sind die beiden KandidatInnen mit den meisten Stimmen, es sei denn, beide sind Männer. In dem Fall käme wegen der von der Partei gewünschten Quotierung die Frau mit den meisten Stimmen zum Zug. (ga)

Ach, Moment, das ist ja jetzt die Parteivorsitzende Claudia Roth. Man kann aber auch wirklich durcheinanderkommen, wie sie da am Sonntagabend zu zwölft nebeneinander auf der Bühne der Berliner Kalkscheune sitzen (drei Kandidaten hatten Besseres zu tun).

Authentisches Strahlen

Roth, 57, hat diese Urwahl möglich gemacht, als sie mit Hinweis auf die Frauenquote die selbst Spitzen-Realos erfolgversprechend erscheinende Einzelkandidatur des faktischen Grünen-Chefs Jürgen Trittin verhinderte. „Mit mir nicht“, sagte sie.

Sondern lieber mit ihr. Das ist schlüssig. Ihre schriftliche Bewerbung kulminiert in dem Appellativ: „Let’s make the world a better place!“ (selbstredend mit Ausrufezeichen). Jetzt sitzt sie da auf ihrem Barhocker; authentisch strahlend und bis auf die Stiefel komplett in Lila gekleidet. Für die Nachgeborenen: Das war in den 70ern des letzten Jahrhunderts die Farbe der Emanzipation.

Nun mag man einwerfen, dass Kleidung unerheblich ist, aber das könnte ein Trugschluss sein. Schließlich handelt es sich bei dieser Urwahl eindeutig um ein Pop- und Oberflächenformat. Jeder hat zwei Minuten für ein Statement zu seinen Plänen und Positionen, was folglich differenzierte Aussagen nicht zulässt. Danach gibt es quotierte Fragen des Publikums – je eine von einer Frau und einem Mann. Es wird geduzt und gebärdengedolmetscht.

Roth bekommt für ihr Statement den stärksten Beifall, das die Worte „Flüchtlinge“, „horrende Mieten“, „Schröder“ und „Abschiebeknast“ enthält und in eine – selbstironische? – Arbeitsbeschreibung als Nervensäge mündet („Ja, ich möchte nerven“). Aber hat das etwas für den Ausgang der Urwahl zu bedeuten, die spätestens am 10. November ausgezählt sein soll?

Nur eine schreibt mit

Im Grunde weiß keiner, wie die knapp 60.000 Parteimitglieder wirklich drauf sind, unter denen ja eine ganze Reihe erst im 21. Jahrhundert eintrat. Auch wenn allgemein erwartet wird, dass Fraktionschef Jürgen Trittin, 58, gewählt wird, ist selbst das nicht ausgemacht. Trittin (Schlüsselworte: Vermögensabgabe, große Koalition) positioniert sich in gut sitzendem Anzug als seriöser Schattenfinanzminister und schafft es, in Berlin ohne jenes als „überheblich“ geltende Lächeln auszukommen, das ihm von der Partei seit Jahren verübelt wird.

Renate Künast, Kofraktionschefin und ehemalige Verbraucherministerin, trägt roten Blazer und lächelt viel und milde, was wichtig ist, weil sie ja zuletzt als „verbissen“ galt. Ansonsten schreibt sie als Einzige mit – man fragt sich, was? Ihre Schlüsselworte: Schwarz-Gelb ablösen, Gleichstellung, Verbrauchermacht. Nur einmal schaut sie richtig streng, als ein Mitbewerber sagt, er würde es „gerne mit ihr machen“.

Künast, 56, hatten einige nach der Berliner Landtagswahl im vergangenen Jahr schon abgehakt. Aber noch ist sie da. Sie kommt auch mit dem Format ganz gut zurecht. Ja, die Zeit sei knapp, da gehe es auch darum, zu erinnern, wer man sei und was man gemacht habe, sagt sie danach.

Trittin sagt auf den Vorwurf, das Format sei trivial: „Was heißt trivial? Wir werden gezwungen zuzuspitzen.“ Genau das sei im Wahlkampf in Talkshows und vor Mikrofonen wichtig. Für ihn dient die Urwahl der Mobilisierung der eigenen Kundschaft. Ansonsten sagen die Grünen, dass die Urwahl ihnen eine mediale Wahrnehmung bringe, für die man viele Kanzlerkandidaten ausrufen müsse.

Nicht nur Dagegen-Sein

Katrin Göring-Eckardt, 46, die Vizebundestagspräsidentin, hat es wohl am schwersten mit dem grellen Format. Sie ist keine Gut-böse-Emphatikerin wie Roth, nicht resolut-schnoddrig wie Künast, sondern ein anderer Typ Politikerin – und auch ein ganz anderer Typ Frau, wenn man das sagen darf. Sie ist zehn Jahre jünger als die anderen drei und Ostlerin. Was beides kein Verdienst ist, aber auch darauf verweist, dass sie in bestimmten Dingen anders denkt und anderes einzubringen hat als Roth, Künast und Trittin, die von einer generationellen bundesrepublikanischen Erfahrung geprägt sind: dem Dagegensein(-Müssen).

Während Roth immer noch engagiert gegen Stoiber kämpft, definiert Göring-Eckardt (blauer Blazer; Schlüsselwörter: Energiewende, Frauenquote, Heimat) die Grünen auch als „Dafür“-Partei. Bei ihr schwingt auch am leisesten mit, was die ganze Veranstaltung für Nichtmitglieder vermutlich schwer erträglich macht: dass die Grünen den universalen Auftrag haben, die anderen so lange zu erziehen, zu korrigieren und zu nerven, bis endlich alles gut ist.

Dass diese Urwahl ein wunderbarer Ausweis für innerparteiliche Demokratie und Partizipation ist und gegen elitäre Mauschelei, wird man sicher noch öfter hören. Aber man kann es auch als Show sehen, die zwar publikumswirksam ist, aber im Kern die Entpolitisierung von Politik vorantreibt.

Gedanken wären ja schon mal was

Wo geht es hin? Zwei, drei große Gedanken wären ja schon mal was. Aber die entscheidenden Themen Staatsschuldenkrise und Energiewende kommen kaum vor. Die wichtigen strategischen Fragen auch nicht: Welches Spitzenpaar könnte den 10 bis 13 Prozent zwei, drei weitere hinzufügen, und wie soll das denn für Rot-Grün reichen?

Ganz nebenbei gibt Trittin die Strategie bekannt: durch Warnung vor CDU/SPD-Koalition aus dem grün-roten Topf möglichst viele grüne Stimmen fischen.

Man kann diese Urwahl auch als Verhöhnung der Berufspolitik verstehen, weil sie die Illusion nährt, dass so was ja im Grunde jeder könne und allemal besser als diejenigen, die professionell sind und also opportunistisch, karrieristisch und abgestumpft. Sehen sie nicht so, sagen die Profis, danach gefragt, sie finden es toll, alles ganz toll. Also dann, bis Samstag in Leipzig, Renate. Ja, tschüss, Werner.

Draußen vor der Kalkscheune sagt eine grüne Abgeordnete, das sei die gerechte Strafe dafür, dass die Großkopferten die Sache nicht rechtzeitig ausgemauschelt hätten.

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12 Kommentare

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  • CD
    Chris Denich

    "Zwei, drei große Gedanken wären ja schon mal was. Aber die entscheidenden Themen Staatsschuldenkrise und Energiewende kommen kaum vor."

     

    Es ist schon bezeichnend für die taz, dass Autoren die Befassung mit der Staatschuldenkrise fordern. Das Wort hat im eigentlichen Sinnzusammenhang des Artikels keine besondere Bedeutung, sagt aber einiges aus.

     

    Ich erinnere mich noch vor 2-3 Jahren in dieser Zeitung Artikel gelesen zu haben, in denen der bürgerliche Begriff "Staatschuldenkrise" für die aktuelle Vielfachkrise dekonstruiert wurde. Nun wird er schon ganz selbstverständlich benutzt.

     

    Da sind ja selbst manche Grünen weiter, die den Begriff vermeiden. Vielleicht kam er deswegen ja nicht vor...

  • OW
    Offenes Wort

    Wie überraschend,

     

    die Gilde der "AKW Ne" und "Multikulti" sucht nach neuen Zielensetzungen.

     

    Nachdem Mutti nun einen Deckel auf die Energiewende gemacht hat, fragt man sich wohl offensichtlich, was man an den Pragen stellen möchte, bei den Grünen.

    Ein wenig Quotengeschreie aus der Ecke von Frau Künast gepaart mit Multikulti von Frau Roth, aber der Brei will nicht so recht schmecken.

     

    Was nun bei Grün?

     

    Laßt den Kopf nicht hängen, es warten große Aufgaben auf euch. Den Islam in Deutschland zu intergrieren, Frauenquoten flächendeckend einzuführen oder einfach nur das Wahlrecht für Mirbürger mit Mirgrationshintergrund aber ohne deutsche Staatsangehörigkeit etc.

     

    In Kriesenzeiten ist Gutmenschdenken eine schwierige Angelegenheit ......

     

    Demokratie finde ich toll .....

     

    Offenes Wort

  • A
    axel

    Es darf wieder einmal taz-gemenschelt werden.

     

    Inhaltliche Differenzen gibt es bei den Kandidatinnen und Kandidaten der Grünen analog zum SPD-Kandidaten-Dreigestirn anscheinend kaum oder gar nicht.

     

    In der Sozial- und Wirtschaftspolitik sind die Agendabefürworter mit ihrer Umverteilungspolitik von unten nach oben, mit Haushaltssanierung via Sozial- und Bildungsabbau in der absoluten Mehrheit.

     

    Was bleibt da, wenn es sich schon inhaltlich auf eine größtmögliche CD/CSU/FDP/SPD/Grünen-Sozialabbaukoalition hinausläuft, dem taz-Redakteur außer menschelndem Geschreibe, um die Grünen ein wenig interessant zu machen?

  • A
    andreas

    @von Norbert:

    ..."dass der blöde Wähler wieder diese Pseudodemokraten wählt."

     

    Es sind nunmal die Kinder von Eltern die im dritten Reich oft allzu oft ihrem Führer gehuldigt haben.

    Das heißt der Kopf ist voller Hass auf das eigene dasein. Um das aushalten zu können, mußte Frau/Mann sich über die DEUTSCHEN stellen. Vor allem moralisch.

    Im Grunde völlig ungeeignet für ein politisches Amt, denn das setzt voraus, das man das Land zumindestens mag in dem Frau/Mann lebt.

    Und anders als z.B. Obama oder Hollande hasst man vor allem die einfachen Arbeiter und Angestellten, denn die teilen diesen Hass nicht!

    So erklären sich auch die HARTZ-IV Gesetze...

    GRÜN wählen ? Nie wieder !!!

  • A
    aurorua

    Diese Teletabis Trittin, Roth, Künast und Göring-E. sind einfach nur noch peinlich...

  • SS
    Sonja Sonnenblümchen

    Die Strategie der grünen Promi-Viererbande ist klar: Sie wollen an die Macht. Allerdings haben sie sich dafür disqualifiziert durch ihre neoliberale Politik seit Rot-Grün 1998.

     

    Die Leute von der basis wären interessanter, aber anscheinend sind sie eher unpolitisch und kritisieren die asoziale Agenda 2010 Leiharbeits- und Minijobpolitik ihrer Promis nicht mal. Geschweige denn die Deregulierung der Finanzmärkte auch Mithilfe des Sozialpädagogen Trittin, die zur heutigen verheerenden Finankrise führte.

     

    Wer och halbwegs informiert ist und für sozial-ökologische Politik der wählt nicht die Grünen, sondern die Linkspartei. - Auch wenn die mituter auch ganz schön nervt. Aber die haben inhaltlich einfach mehr Substanz als die eitlen Grünen

  • N
    Norbert

    Atom-Kraft wird abgeschafft. Mehr haben die Grünen nicht zu bieten, außer in irgendeiner Weise Deutschland zu schaden.

    Man kann auf dem Foto jedem einzelnen Ansehen, wie er von Steuergeldern fett gefressen in sich reingrinst, dass der blöde Wähler wieder diese Pseudodemokraten wählt.

  • WW
    Wählt Werner Winkler

    Wer Urwahl sät,

    wird Winkler ernten!

     

    http://www.youtube.com/watch?v=J882-i06B1E

    http://xn--whlt-werner-winkler-gwb.de/

     

    Wählt ihn,

    weil er bei den Grünen ist und nicht Claudia Roth, Jürgen Trittin, Renate Künast oder Katrin Göring-Eckardt heißt.

  • A
    Arne

    " Die wichtigen strategischen Fragen auch nicht: Welches Spitzenpaar könnte den 10 bis 13 Prozent zwei, drei weitere hinzufügen, und wie soll das denn für Rot-Grün reichen?"

    Das kann ich jetzt nicht ganz nachvollziehen?!

    Göring-Eckardt steht doch als Befürworterin der rotgrünen Hartz-Reformen ganz klar für schwarz-grün, dafür ist doch auch eine rechnerische Mehrheit vorhanden, egal, ob sie als Spitzenkandidatin oder als Strippenzieherin im Hintergrund auftritt.

  • UM
    Ullrich Mies

    "Die wichtigen strategischen Fragen aber fehlen."

     

    So ein Pech aber auch. Wer hätte von dieser Regierungsgeilen, degenerierten Truppe etwas anderes erwartet?

  • S
    sauerkreatur

    ach ja die taz .

    wird immer mehr .

    zur BILD für linke .

     

    winkewinke .

  • H
    hugendubbel

    erster!

     

    ich war echt noch nie erster.

     

    aber trotzdem, findet ihr nicht, dass ihr etwas übertreibt? und hat den artikel evtl der pers. mitarbeiter von kathrin göring-eckart geschrieben?