Grüne Lähmung: Demos für Habeck

Statt zu schweigen, zu lamentieren oder zu kleben sollten die Grünen und die Klimapolitik-Engagierten für Vizekanzler Robert Habeck und seine Politik auf die Straße gehen.

Robert Habeck stellt den OECD-Wirtschafts- und Umweltprüfbericht vor Foto: dpa

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 09.05.2023 | Ludwig Erhard wurde 1949 von Konrad Adenauer in dessen erstes Kabinett als Wirtschaftsminister berufen. Er hat die Einführung der D-Mark organisiert und die „Soziale Marktwirtschaft“ durchgesetzt. Auf dieser Grundlage wurde der Wiederaufbau der Bundesrepublik als „Wirtschaftswunder“ möglich. Angebotsorientierte, von staatlicher Regulierung möglichst ungebremste wirtschaftliche Entwicklung versehen mit sozialen Grundsicherungen plus Westbindung waren der Kern dieses Erfolgsmodells.

Karl Schiller war von 1966 bis 1972 der erste Bundesminister für Wirtschaft der SPD – in der ersten Großen Koalition von Union und SPD im Kabinett Georg Kiesingers (CDU), ab 1969 in einer sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt (SPD), von 1971 bis 1972 zusätzlich als Bundesminister der Finanzen. Mitten in der ersten Rezession der Nachkriegsgeschichte stellte Schiller die politischen Weichen zu einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik. Das Stabilitätsgesetz und die sogenannte „konzertierte Aktion“ waren sein Regelwerk für eine staatlich gesteuerte Wirtschaftsentwicklung. Vollbeschäftigung, Preisstabilität, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, ein angemessenes Wirtschaftswachstum, klug aufeinander abgestimmt, und das Zusammenwirken von Staat, Unternehmen und Arbeitnehmern im öffentlichen Interesse waren ein Versprechen für eine rationale, staatlich geplante und gesteuerte Wirtschaftsentwicklung. Fortschrittsglaube und Modernität waren Eckpunkte der damaligen SPD-Politik. Mit diesem Versprechen wurden Willy Brandt und seine SPD 1969 bei den Wahlen zum Bundestag erstmals stärkste Partei.

Womit wir bei Robert Habeck wären, seit 2021 Wirtschafts- und Klimaminister sowie Vizekanzler. Wie die beiden genannten Vorgänger arbeitet auch Habeck an einer großen und fundamentalen Aufgabe: die Transformation der fossilen Industrien in ein ökonomisch erfolgversprechendes und dabei erstmals ökologisches Produzieren. Diese Transformation ist mit dem Vertrauen in die selbstregulierenden Kräfte des Marktes allein nicht zu machen. Sie ist abhängig von institutionellen, staatlich regulierten Infrastrukturen bei der Energieversorgung, bei der Sicherstellung von Rohstoffen und bei der Ausrichtung von Produktionszielen auf die nachfossilen Techniken des Produzierens und auf das Leben aller Bürger. Durch den russischen Angriffskrieg auf Europa zusätzlich dramatisch unter Druck gesetzt arbeitet Habeck daran, das Regelwerk für diese Transformation in Gesetzen, Ansagen und Regularien festzuschreiben. Die Industrie hat sich auf diese historischen Veränderungen bereits eingestellt. Habeck schreibt Schillers Erfolgsgeschichte fort, von der sich die SPD selbst schon längst verabschiedet hat.

Es gibt allerdings einen großen Unterschied: Schiller hatte Willy Brandts Unterstützung. Olaf Scholz dagegen sieht Habeck als Kanzler-Konkurenten und hält Abstand. In einer entscheidenden Phase unternimmt Scholz keinerlei Anstrengungen, SPD und Grüne gemeinsam als die historische Modernisierungskraft auf dem Weg in einen ökologisch und sozial ausgewogenen Kapitalismus zu nutzen. Habeck steht allein im Feuer der Klimaleugner, der bloß angebotsorientierten Klimapolitik-Verweigerer bei der FDP, der CDU, großer Teile der SPD und erlebt zudem noch herabsetzende Abgrenzung einiger Grüner.

Dabei schreibt Habeck heute schon Wirtschaftspolitikgeschichte auf dem Niveau seiner großen Vorgänger. Er hat die Abhängigkeit und den Ausfall von russischem Gas und Öl ohne Schaden bewältigt. Nach nur anderthalb Jahren und trotz vollzogenen Atomausstiegs gibt es weder Gasmangel noch eine Energieversorgungs-Notlage. Nicht nur das: Habeck gibt nun auch dem regulierten, staatlich gesteuerten Umstieg auf die Erneuerbaren mit Gesetzen einen rechtsverbindlichen Rahmen. Der reicht vom Netzausbau für Strom, Wasserstoff und Ammoniak, der Gebäudesanierung und der Wärmewende bis hin zu einer Industriepolitik, die mit hohen Investitionshilfen die Abhängigkeiten von instabilen Lieferanten auf den Weltmärkten reduziert.

Es fehlt an öffentlichem Rückhalt

Sicher lässt sich über einzelne Schwerpunkte in Habecks Transformationsgesetzen streiten. So ließe sich mit einem öffentlich stärker geförderten Ausbau der Wärmenetze für ganze Städte und Gemeinden viel Druck von den angeblichen Wärmepumpen-Opfern in ihren Einfamilienhäusern nehmen. Auch die Energiepreisbremse für die Industrie, die aus den öffentliche Haushalten bezahlt werden soll, kann durchaus als Einknicken Habecks vor den Erpessungsmanövern und Abwanderungsdrohungen aus der Industrie gesehen werden. Sie ist überflüssig.

Dennoch können auf der Grundlage von Habecks Transformationsgesetzen alle Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft die durch die Klimakrise gesetzten Umbauzwänge in eigene langfristige Planungen und Projekte übersetzen. Diese Transformationsgesetze haben auch schmerzhafte Konsequenzen, keine Frage. Doch ohne sie ist eine erfolgversprechende Transformation in postfossile Marktwirtschaftsstrukturen nicht möglich.

Wenn CDU, SPD und FDP nun den Eindruck erwecken, die Transformation könne ohne regulierte Veränderungen in allen Sektoren des gesellschaftlichen Lebens geschafft werden, dann demonstrieren sie ihre Unfähigkeit, dem Wirtschaftsstandort Bundesrepublik und Europa den Weg eine erfolgreiche Zukunft zu weisen. Sie isolieren sich damit auch von den großen Industrien und den Mehrheiten der Funktionseliten in der Republik, die sich längst auf den Weg gemacht haben.

Der Wirtschafts- und Klimaminister Habeck hat allerdings heute bei den Grünen – und das erinnert an Karl Schiller am Ende seiner verdienstvollen Ministerzeit bei seiner SPD – nicht genug öffentlichen Rückhalt. Während sich Gegner-Medien und -Parteivertreter täglich mit immer neuer und häufig sachlich falscher Kritik an Habecks Politik überschlagen, schweigen seine Grünen. Es gibt keine sozialökologische Öffentlichkeit, die den Kurs Habecks und auch dessen Zumutungen als Zukunftschancen interpretieren oder wenigstens erklären würden. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum die Grünen ihre Regierungsbeteiligung in zwölf der sechzehn Landesregierungen nicht dafür einsetzen, um Habecks Projekte machtpolitisch zugespitzt zu flankieren.

Darüber mögen heute noch viele Grüne und Klimapolitik-Interessierte in ihrem anachronistischen, staatsfeindlichen Habitus lächeln, aber Habecks Politik ist eines Kanzlers würdig. Statt moralisierende Klimakleber schweigend zu unterstützen oder in internen Foren den „armen Robert“ zu bedauern, sollten sie in sozialen Netzwerken, in der Öffentlichkeit und auf der Straße für Habeck und seine Politik demonstrieren. Wer nur zusieht, wie die anderen die Stimmung drehen, der braucht sich nicht wundern, wenn die Zustimmungswerte in Bund und Ländern zurückgehen. Die Umfragen der letzten Wochen sind ein Menetekel für das Verspielen eines historischen Auftrages.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.

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