Grüne Jugend in Ostdeutschland: Tiefes Dilemma
Nach dem Rücktritt des Vorstands der Grünen Jugend hadert unser Autor. Er teilt die Kritik – doch im ländlichen Osten kann er nicht einfach gehen.
A ls ich Ende 2018, im Alter von 16 Jahren, in meiner Heimatstadt Zwickau den Grünen beitrete und eine Ortsgruppe der Grünen Jugend initiiere, sehe ich das als die einzige Option: Die Linkspartei war vor Ort noch immer von Alt-SEDlern geprägt, und es gab kaum Möglichkeiten für Jugendbeteiligung – schon gar nicht in Zwickau. Mit dem Beginn der Fridays-for-Future-Bewegung hatten Leute in meinem Alter Hoffnung auf frischen Wind in den Parlamenten – auch durch die Grünen.
2024 haben sich die Umstände geändert: Links zu sein ist im ländlichen Ostdeutschland das Gegenteil von cool, bei den Grünen oder in der Grünen Jugend aktiv zu sein schon gar nicht. Ein Öko-, Lastenrad-, Woke-Image wirkt desaströs. Eine linke, demokratische, gut strukturierte und ja, auch coole, Jugendorganisation – die keine Parteijugend ist – wäre demnach wichtig, vor allem um auf dem Land eine Gegenkultur zu den Faschos aufzubauen. Der Rücktritt des Grüne-Jugend-Vorstands und die Ankündigung einer neuen Jugendorganisation könnten dafür den Weg ebnen. Ich habe mich zunächst gefreut.
Allerdings sollte nicht unterschätzt werden, welche Rolle viele Ortsgruppen der Grünen Jugend spielen: Sie sind ein wichtiger Ankerpunkt für queere, diskriminierte und von Faschos bedrohte Jugendliche. So ging’s mir damals auch. Für sie alle wirkt der angekündigte und scheinbar nicht wirklich gut abgesprochene Rücktritt des Bundesvorstands der Parteijugend wie ein Schlag ins Gesicht.
Im ländlichen Osten eine Mammutaufgabe
*2002 hat sich in seiner Jugend antifaschistisch in Zwickau engagiert. Darüber hat er ein Buch geschrieben.
Luise Schmiedichen, Politische Geschäftsführung der Grünen Jugend Sachsen, schreibt: „Ich bin traurig. Die Grüne Jugend ist ein Ort, in dem junge Menschen in Ostdeutschland einen von wenigen Orten der politischen Selbstwirksamkeit finden. Das Vorgehen des Bundesvorstands, (…) macht mich wütend, und diese Wut wollte ich nicht gegenüber Menschen spüren, mit denen ich teilweise jahrelang politisch gearbeitet habe.“
Da wird seit Jahren darum gerungen, progressiven Kids in Zwickau, Görlitz oder Chemnitz mit der Grünen Jugend eine politische Heimat zu bauen, und dann ist diese irgendwelchen Leuten an der Spitze nicht links genug. Neue Gruppen gründen? Für am Limit lebende Menschen im ländlichen Osten ist das eine Mammutaufgabe.
Auf der Instagram-Seite der sich neu formierenden Jugendbewegung „zeitfuerwasneues2024“, scheint sich dieser Eindruck zu bestätigen: Im Saarland verlassen zugunsten der neuen Organisierung zwei, in Berlin drei Menschen den Landesvorstand der Grünen Jugend, in Schleswig-Holstein ein großer Teil und in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern wechseln die gesamten Landesvorstände geschlossen zur Neugründung.
In Ostdeutschland treten, zumindest bisher, nur vier Vorstandsmitglieder aus dem brandenburgischen Verband aus. Das gibt zu denken und liegt sicher auch an der erwähnten zugespitzten politischen Situation im ländlichen Osten – dabei wäre es gerade jetzt so wichtig in Ost- wie Westdeutschland an einem gemeinsamen Strang zu ziehen.
Fragen werfen auch die kursierenden Statements „gegen Aufrüstung“ der neuen Bewegung auf. Was genau ist mit dem grundsätzlich berechtigten Anliegen gemeint? In den sozialen Netzwerken geht ein Beitrag Ukraine-solidarischer Aktivistinnen viral, in dem es heißt: „Neben eurer Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit und dem Aufbau einer neuen linken Partei stellt ihr euch auch ‚gegen Aufrüstung‘. Eine Präzision dieser Aussage gab es bisher nicht. Wir, Aktivistinnen, die sich seit Jahren für die Ukraine starkmachen, finden das wahnsinnig gefährlich.“ In Zeiten von heimtückisch-populistischen Neugründungen à la BSW sind das berechtigte Sorgen.
Kein Aushängeschild für den Rechtsruck
In den meisten Themenfeldern teile ich aber die Beweggründe zum Abschluss mit den Grünen und deren Jugend. Zur Wahrheit gehört: Auch ich hadere schon lange mit meiner Parteimitgliedschaft, eigentlich seit dem Eintritt. Die Geas-Asylrechtsverschärfungen, das Abbaggern von Lützerath und die zurzeit diskutierten Gesichtserkennungsmaßnahmen oder Bürgergeldverschärfungen der Ampelregierung – all das bestärkt mein Hadern und die Wut gegenüber meiner Partei.
Mehr denn je habe ich aber auch das Gefühl mich nicht hundertprozentig richtig oder falsch entscheiden zu können. Rot-rot-grüne Kreisverbände sind im ländlichen Ostdeutschland nicht selten die letzte demokratische Bastion. Den Aktiven begegnet Hass und Gewalt, auf Büros gibt es Anschläge. Mit einem Austritt, so glaube ich, lasse ich diese Leute im Stich. Den meisten geht’s an der Basis um die Verteidigung von Grundrechten und Demokratie vor Ort, frei von Bundespolitik.
Mit einem Verbleib kämpfe ich aber vielleicht gegen Windmühlen: Auf die drängende soziale Frage, auf das Wegbrechen der Demokratie und die menschheitszerstörende Klimakatastrophe scheint die Partei keine glaubhafte und konsequente Zukunftserzählung mehr zu haben, schon gar nicht im Osten. Und glaube ich wirklich daran, dass der Rücktritt von Omid Nouripour und Ricarda Lang einen Kurswechsel herbeiführen könnte? Wohl kaum.
Die Sehnsucht von jungen Linken nach einer flächendeckenden, unbequemen Struktur, jenseits überalterter Parteistrukturen ist groß. Bei mir wächst diese Sehnsucht noch, wenn sogar grüne Politiker*innen wie Cem Özdemir das Problem toxischer Männlichkeit als rein migrantisch verkaufen. So lässt sich die extreme Rechte nicht bekämpfen. Im Gegenteil.
Ich befinde mich in einem tiefen Dilemma: Auf der einen Seite begrüße und unterstütze ich den Aufbau einer freien, linken Jugendorganisation, auf der anderen Seite sehe ich eine kritische Parteimitgliedschaft ohne Amt nicht als Widerspruch zu außerparlamentarischem Engagement. Eines ist klar: Ich möchte und werde kein Aushängeschild für den Rechtsruck sein, der auch vor der Ampel und den Grünen keinen Halt macht.
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